Bild: flickr.com/glarus | Hans Bühler, Netstal
Bild: flickr.com/glarus | Hans Bühler, Netstal

Kultur, Gesellschaft & Leute

Ideen für die Innenstadt – Teil 6

Im heutigen Teil sechs der Kulturblog-Serie mit den Eingaben zum Studienprogramm für die Innenstadtentwicklung geht es unter anderem um den Verkehr und ganz allgemein um den Aufruf, sich jetzt ein neues Glarus zu schaffen.

Bis am 12. September 2022 konnten Privatpersonen und Organisationen ihre Ideen zum Studienprogramm einreichen. Wie lang die Serie wird, hängt von Ihnen ab.

Teil sechs ist die Eingabe von Ivo Oertli, Architekturstudent aus Ennenda. Ihm geht es um den Strassenraum, die Platzgestaltung, die Materialisierung der Umwelt, die historische Bausubstanz und die Nutzung. Und er findet abschliessend: «Schaffen wir uns ein neues Glarus – jetzt!»

Wollen auch Sie oder Ihre Organisation Ihre eingereichten Ideen im Kulturblog zeigen? Dann schicken Sie diese an kulturblog@glarneragenda.ch – ich kümmere mich für Sie um die Veröffentlichung.

Strassenraum

Der Strassenraum durch die Stadt Glarus bildet heute einen tristen und recht trostlosen Anblick. Entlang des Perimeters gibt es vereinzelt Verkehrsinseln, viele Parkplätze, und genügend Schilder. Der Hauptstrasse kommt – gerade mit Tempo 50 – unweigerlich der Charakter einer Durchfahrt zu, den sie auch in Zukunft behalten wird und behalten darf. Doch auch wenn die Strasse eine viel befahrene Strasse ist, bedeutet dies nicht, dass die Qualität der Strasse komprimiert werden muss. Es können viele Massnahmen ergriffen werden, um die Situation entlang der Hauptstrasse zu verbessern. Das Bestreben seitens der Gemeinde, den Strassenraum dabei bis hin zur Fassade zu denken, ist richtig und wichtig. Für den Strassenraum, exklusive Plätze, könnten folgende Punkte in Frage kommen, die nicht abschliessend zu lesen sind:

1. Reduktion des Tempos auf maximal 30km/h

Die Reduktion der Geschwindigkeit ist ein bereits an der Infoveranstaltung breit diskutiertes Thema. Es spaltet die Gemüter – denn wie viel Spielraum der Kanton in der Gestaltung der Geschwindigkeit hat, ist unklar. Sicher ist aber, dass ein Versuch, diese Normen zu durchbrechen, lanciert werden sollte. Die Qualitäten, die die Reduktion der Geschwindigkeit mit sich bringt, sprechen denn auch für sich. So werden nicht nur die Sicherheit aktiv gefördert, sondern auch die Lärmemissionen reduziert (vgl. Teil 5 dieser Serie), was sich positiv auf die Lebensqualität und die Attraktivität der Fussgängerbereiche (und die Restaurants entlang der Strasse) auswirkt. Es ist überdies ohnehin nicht realistisch, die Strasse tagsüber mit mehr als 30km/h zu befahren. Das Argument, die Langsamfahrstelle würde die Fahrzeit in den Süden verkürzen, kommt angesichts der zuvor ausgeführten Tatsache ebenso kaum zu tragen. Dies zeigt auch die einfache und grobe Berechnung. Führe man ab der Kreuzung Sandstrasse-Landstrasse bis hin zur Kreuzung Kirchweg-Waidlistrasse ohne Unterbruch mit 30km/h, bräuchte man lediglich 42.41 Sekunden länger als mit einer Geschwindigkeit von 50km/h – angenommen, man könnte diese überhaupt halten. Nun kann man sich eine einfache Frage stellen. Was ist wichtiger? Ein Gewinn von Lebensqualität der Anwohner und Aufenthaltsqualität für Besucher oder ein kürzerer Pendlerweg von 42.21 Sekunden?

Die Frage ist rein rhetorischer Natur. Es muss ein neuer Versuch gestartet werden, die Geschwindigkeit zu drosseln. In anderen Kantonen und Städten ist die Reduktion der Geschwindigkeit einer Hauptstrasse kein Novum. Schliesslich hat auch der Kanton ein Interesse an einer attraktiven Hauptstadt. Wenn der Wille da ist, so gibt es auch einen Weg.

Von der Einführung von Einbahnstrassen ist wenig zu halten. Es schafft nur zusätzlichen Lärm in Gebieten, die bislang unangetastet wurden. Betroffene Strassenzüge würden auf einen Schlag unattraktiv – das Problem würde also nicht nur verlagert, sondern auch von einer auf zwei Strassen multipliziert. Überlegungen dieser Art sind nicht zu Ende gedacht; scheinen zwar auf den ersten Blick attraktiv, ziehen aber grosse Rattenschwänze mit sich. Die Problematik des Automobilverkehrs entlang der Hauptstrasse wäre einfacher zu lösen, indem eine Temporeduktion und der Einsatz von Flüsterasphalt forciert würden (vgl. Teil 5 dieser Serie).

Trotz der Einführung einer Geschwindigkeitsreduktion sollten die Fussgängerstreifen bleiben oder zumindest mit einem Äquivalent ersetzt werden.

2. Infrastruktur für den Langsamverkehr

Die ersten Bestrebungen im Aufbau einer Langsamverkehrs-Infrastruktur (Velobügel) war und ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn diese Massnahmen zu Unrecht im Volk auf Unbehagen zu stossen schienen. Nimmt man sich ein Beispiel an den Niederlanden, so zeigt sich, dass das Fahrrad ein aktiver und gelebter Teil städtischer Mobilität werden kann, wenn man dazu die richtige Infrastruktur schafft. Unterstützt wird diese Tatsache, dass besonders die Räume Glarus-Ennenda und Glarus-Riedern eng miteinander vernetzt sind und sich die Wege daher kurz gestalten. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da ein Grossteil des Verkehrs innerhalb der Stadt Glarus Binnenverkehr ist (vgl. Teil 4 dieser Serie), der problemlos zu einem grossen Teil durch Fahrradverkehr ersetzt werden kann. Dies zu ändern, ist natürlich nicht nur Sache der Gemeinde, doch die richtige Infrastruktur schafft es, Menschen möglicherweise erst zu einem Wechsel vom «Vierrad» zum «Zweirad» zu bewegen. Doch zu dieser Infrastruktur gehören beispielsweise auch explizit zugewiesene Fahrradspuren, Velogaragen, Aufladestationen für Elektrobikes, Velovermietungen usw.



Heute ist die Verkehrssicherheit gerade für Fahrradfahrer nicht genügend. Entlang der Hauptstrasse ist es gar gefährlich, das Fahrrad auf der Strasse zu nutzen (daher macht es auch niemand). Das Strassenprofil inklusive Trottoir ist etwa 18 Meter breit. Das Profil der Strasse an sich exklusive Parkplätze sieben Meter. Die Parkplätze belegen ein Profil von zirka zwei Metern. Selbst heute hat man genügend Raum, um eine entsprechende Infrastruktur einzurichten. Noch besser wäre aber:

3. Das Entfernen der Parkplätze entlang der Hauptstrasse und ihren Plätzen

Das Entfernen der Parkplätze würde den Einbau einer kleinen Fahrradspur erlauben – sei es abgetrennt durch eine Markierung oder durch eine Variation im Belag. Alternativ kann auch das Trottoir um zwei Meter verbreitert werden. Das fördert die Sicherheit und bedeutet, den Fokus nicht mehr nur auf Autos, sondern auf den Langsamverkehr mit Fussgängern und Fahrrädern zu setzen, ohne die Eigenschaften der Strasse zu komprimieren – im Gegenteil. Mit diesem Vorschlag kommt man automatisch zu einem Punkt, der wohl nicht bei allen Gruppen der Bevölkerung auf Begeisterung stossen wird. Mit dem Aufzeigen guter Alternativen könnte dem jedoch entgegengewirkt werden. Wo die Parkplätze neu hinkommen, ist dann aber eine andere Frage – sicher ist, dass Projekte wie zum Beispiel das Parkhaus unter dem Zaunplatz eine mögliche Lösung sein könnten. Fundamental ist es dabei, den Betrachtungsperimeter auch über den Bearbeitungsperimeter hinweg zu vergrössern, wie es an den Diskussionen der Informationsveranstaltung richtig konstatiert wurde.

Platzgestaltung

Die Planung umfasst die Plätze beim Gerichtshaus, dem Rathausplatz und dem Gemeindehausplatz bis hin zum Bahnhof. Wo ist also heute das Problem?

Die Plätze sind heute nicht als Plätze wahrnehmbar. Das liegt unter anderem daran, dass die Nutzungen heute im Gegensatz zu früher funktional und visuell voneinander getrennt sind. Die Aufteilung gliedert sich in Trottoir - Strasse - Trottoir - Platz. Extremer formuliert könnte man gar die Aussage wagen, die Plätze entlang der Strasse seien lediglich breite Trottoirs. Eine Verschmelzung dieser Funktionen liesse den Platz wieder als solchen wahrnehmen.

Ein Beispiel dafür bildet der viel befahrene Zentralplatz in Biel. Auf konzeptioneller Ebene betrachtet bildet er ein gutes Vorbild, wenngleich er gestalterisch noch Potential hätte. Jedenfalls entsteht eine nachhaltige Verschmelzung der Funktionen, die den Platz wieder als Platz wahrnehmen lassen. Diese Verschmelzung kann über das Angleichen von Niveau aber auch über den Belag (z.B. Pflasterstein) erfolgen. Das Beispiel in Biel verwendet einen leicht beige eingefärbten Asphalt, der sich vom Trottoir zur Strasse hindurch zieht. Damit wird ein klares Signal ausgesendet: Hier ist der Fussgänger König – nicht das Auto.

Die Hauptstrasse, die heute als eine unüberwindbare Barriere wahrgenommen wird, und beispielsweise den Rathausplatz und Cityplatz radikal durchschneidet, würde auf einfache Weise überwunden. Der Platz würde zu einem grossen Ganzen – weg von einem zerschnittenen Sammelsurium an Restflächen. Wie Plätze gegliedert werden können und wie mit Verkehrsflächen in Plätzen umgegangen werden kann, beschreibt Samuel Flückiger in seiner Masterthesis an der Hochschule Rapperswil aus dem Jahre 2011 bestens.

Um dieses Thema weiter anzugehen, lohnt sich jedoch auch ein Blick in die Vergangenheit. Bilder aus den 1890er-1950er Jahren (der Stadt Glarus) zeigen die Plätze und den Strassenraum in einem gänzlich anderen Licht. Es wäre schlechterdings falsch, die Situation um 1900 mit der Situation heute ungeachtet der Veränderungen im Verkehrswesen zu vergleichen; ein Rückbesinnen auf den Ursprung der Platzgestaltung in Glarus wäre aber in jeder Hinsicht lohnenswert. Vereinzelt scheinen die Plätze zwar kahl, aber sie sehen wenigstens aus wie Plätze. Die historischen und markanten Gebäude an diesen Plätzen erhalten eine viel grössere Präsenz, als sie es heute haben. Dies unter anderem, weil sie nicht an den Rand der Plätze gestellt, sondern zu einem integrierten Teil der Plätze wurden. Nicht die Strasse stand im Fokus, sondern die Fassung des Platzes und dessen Funktion als Ort der Besammlung. Nicht das Durchqueren, sondern das Verweilen muss im Vordergrund stehen. Diesem Grundsatz folgen auch die bekannten und romantischen Innenstädte Italiens. Die nötigen architektonischen Voraussetzungen dazu existieren bereits - das zeigen die Bilder aus der Vergangenheit.



Es ist klar, dass auch hier möglicherweise die Normen und Vorschriften gegen ein solches Verschmelzen des Platzes sprechen. Doch Normen sind nur starre Regelwerke, die mit dynamischen Systemen umgangen werden können. Man kann diese Normen sogar als Chance sehen, kreativere Lösungen zu entwickeln. Ein Beispiel dafür zeigt sich in Poynton, England. Das kleine, von zwei Hauptverkehrsachsen durchschnittene Dörfchen gestaltete ihren Dorfkern radikal neu. Die alte, viel beschilderte Kreuzung wich einem grossen Platz ohne jegliche Beschilderung und Markierung. Man fand heraus, dass die Verkehrssicherheit sogar gesteigert wird, wenn Markierung und Schilder entfernt werden. Warum? Weil Menschen automatisch vorsichtiger und langsamer fahren. Durch das Lancieren eines Pilotprojekts konnten gewisse Normen geschickt umgangen oder aufgeweicht werden, während dabei ein offensichtlich deutlich ansprechenderes Stadtbild erzeugt werden konnte. Es sollte daher eine Überlegung wert sein, die meisten der Schilder und Markierungen zu entfernen.

Weiter müssen interaktive Elemente Platz finden. Die Rede soll von Dingen sein, die gemäss nationalem Forschungspgrogramm NFP 65 fungieren, also z.B. Nutzungsdivers sind und angeeignet werden können. Das heisst, dass Objekte z.B. von allen Menschen frei genutzt und vielfältig bespielt werden können – bestenfalls wird auf Events in der Stadt bereits bei der Planung geachtet. Weiter könnten Sitzmöglichkeiten, kleine Sitznischen in kleinen grünen Oasen den Raum nachhaltig aufwerten. Betreffend dieses Punktes muss jedoch auch dem Unterhalt später grosse Sorge getragen werden.

Was die Strassenbeleuchtung anbelangt, so kann innerhalb der Stadt noch einiges inszeniert werden (vgl. Teil 3 dieser Serie). Besonders die Strassenlampen bieten grösseren Spielraum. Ziel soll es sein, künftig auf Strassenlampen zurückzugreifen, die gestalterisch wertvoll sind. Diese Aussage ist architektonisch nicht gerade professionell, aber Strassenlaternen, wie man sie beispielsweise entlang des Gemeindehauses und des Glarnerhofs kennt, sind um einiges schöner und werden den Massstäben eines Menschen eher gerecht.

Materialisierung und Umwelt

Die Attraktivität kann einfach gesteigert werden, wenn z.B. Trottoirs mit Pflastersteinen oder Platten, also Materialien für Menschen und nicht für Autos, gemacht werden. Heute zeigt sich vor allem ein Bild voller Asphalt. Asphalt ist aber kein Material für Menschen. Der Umstieg auf Materialien der Grössenordnung Mensch wäre daher von grosser Bedeutung. Nur schon ein eingefärbter Asphalt macht einen Unterschied. Noch besser wären aber der Einsatz von Steinen, bestenfalls lokal vorkommende Steine – und natürlich solche, die auch für mobilitätseingeschränkte Personen kein Hindernis darstellen.

Bei den Plätzen kann man diese Materialisierung etwas aufbrechen und zieht das Material, dass ansonsten für die Trottoirs verwendet wird (z.B. eben Steine, Pflastersteine, gefärbter Asphalt) in die eigentliche Strasse hinein – analog zum Thema «Platzgestaltung». Man erinnere sich an Poynton oder Biel – derselbe Belag durchzieht den ganzen Platz. Auch hier darf sich das Planerteam dem Vorbild der Plätze und Piazzi der italienischen Städte bedienen.

Um die Qualität entlang der Strassen und Plätze ebenso zu steigern, wäre der Einsatz von Flüsterasphalt zur Reduktion der Lärmemission (vgl. Teil 5 dieser Serie) eine gute Wahl. Er ist zwar teurer, aber das Ergebnis spricht für sich.

Weiter wäre es wichtig, dass die Beläge künftig sickerfähig sind, also z.B. Regenwasser in den Boden durchsickern lassen und nicht versiegeln. Übrigens: Vor allem Parkplätze kann man einfach mit sickerbaren Materialien gestalten – in der ganzen Stadt. So könnten Parkplätze mit Pflastersteinen gestaltet werden. Das Tiefbauamt Zürich hat dazu erst jüngst ein Pilotprojekt gestartet, dass sich anzuschauen lohnt.

Glarus braucht mehr Grün. Diese Tatsache ist zwar einfach formuliert, doch nur schwer umzusetzen. Möglichkeiten gibt es aber durchaus. Gerade entlang der Hauptstrasse finden wir viele versiegelte Flächen und wenig Grün. Das ist ein Problem zum Stichwort Heat City (vgl. Teil 2 dieser Serie). Städte heizen sich künftig immer mehr auf und kühlen nicht mehr ab. Grünflächen wirken dem entgegen und werten den Raum nebenbei auf. Dass diese Behauptung zutrifft, zeigt sich nur wenige Meter südlich des Rathausplatzes entlang der Hauptstrasse bis hin zum Restaurant Steinbock. Die Bäume werten den Raum nachhaltig auf, bieten Schatten und lockern die ansonsten von tristen Grautönen geprägte Farbpalette auf. Mehr noch, es zeigt sich, dass schon das Trottoir genügend breit für Bäume wäre – selbst wenn es also zu keinem Entfernen der Parkplätze käme, wäre das Pflanzen von Bäumen möglich. Neben Bäumen braucht es allerdings auch noch Flächen für weiteres Grün – z.B. für insektenfreundliche und heimische Sträucher, Gräser und Rabatten. Der Gerichtshausplatz ist der beste Beweis dafür, dass Grün nie schadet und einfach aufwertet.


Bild: Kanton Glarus, Samuel Trümpy Photography

Es wurde angesprochen, dass das Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ISOS möglicherweise das Pflanzen von Bäumen entlang der Hauptstrasse aus Ortsbildschutzgründen verhindern könnte. Wenn man jedoch Bauten wie den Glaspavillon der Landesbibliothek anschaut, der in derselben Zone ist, kommen Zweifel auf, dass das ISOS auch nur etwas einzuwenden hat, wenn es um das Pflanzen ein paar weniger Bäume geht.

Historische Bausubstanz

Jakob Zweifel, ein Glarner Architekt, beschrieb das architektonische Gut von Glarus treffend, als er schrieb: Die Schönheit eines Ortsbildes ist nicht allein abhängig vom Vorhandensein eigentlicher Baudenkmäler, schöner öffentlicher Bauten und einer grossen Anzahl architektonisch hervorragender Privatbauten. Sie wird ebenso sehr oder vorwiegend bestimmt durch das gute bauliche Niveau der grossen Menge der übrigen Bauten; es besteht nun gerade darin der grosse Vorzug des nach 1861 wiedererstandenen Glarus, dass seine Strassen und Gebäude dieses Niveau haben. Sie verdanken dies einmal der Tatsache, dass sie im Rahmen eines guten Gesamtplans und sehr einheitlich durchgebildet sind; sodann schöpfte jene Zeit aus der klassischen Bautradition, die imstande war, einem Stadtbild Ruhe, Würde und Zurückhaltung zu verleihen, was der Laie heute oft zu Unrecht als Langeweile empfindet.»



Diese Qualität muss in jeder Hinsicht bewahrt werden. In einer Stadt wie Glarus gehört das gemeine Ganze, nicht die Verwirklichung seiner selbst in den Fokus. Bauten müssen in den Hintergrund des Ganzen treten und dieses nicht übertrumpfen. Identitätsstiftende Beispiele dazu sind beispielsweise der Neubau hinter dem Rathaus durch Fuchsbau Architekten oder der Neubau der Regionalbank. Ortsfremde Beispiele sind Bauten wie der Anbau des kantonalen Baudepartements entlang der Burgstrasse (Proportionen stimmen nicht, die Gliederung der Fassade und der Stockwerke ist nicht angepasst und die Farbigkeit tanzt aus der Reihe. Auf der grünen Wiese wäre dies nicht weiter schlimm, im Kontext der Burgstrasse fällt die Fassade jedoch negativ auf).

Was bedeutet dies im Zusammenhang mit der Innenstadtentwicklung? Zentral wird es sein, die architektonische Qualität der Innenstadt zu sichern – bestenfalls über die Schutzzonen hinaus. Denn nur dann können neu gestaltete Flächen in ihrer Qualität gesichert werden. Erfolgen kann dies durch das Einsetzen einer entsprechend fähigen Kommission, die architektonische Qualität richtig zu deuten weiss. Das heisst somit folglich nicht, dass nicht Neues gebaut werden kann – im Gegenteil. Hans Leuzinger beschreibt das schon: Der Heimatschutz will aus dem Lande kein Museum machen und weiss, dass das Gesicht der Heimat im Laufe der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung nicht das gleiche bleiben kann. Doch wie er betonte, dass die Zeiten ändern, fordert er Respekt vor dem was vorher war. Man möchte nicht den Boden unter den Füssen, das architektonische Fundament verlieren. Denn sie ist gebaute Identität, sie verkörpert den Geist einer Stadt. Und der Geist einer Stadt liegt nicht der Gestaltungshoheit einer Einzelperson.

Vielleicht kann die Gestaltung noch etwas weitergehen. So könnte man z.B. mit Pflastersteinen Strassenzüge und wichtige Gebäude des alten Glarus vor dem Brand markieren. Mit Infotafeln und Namen könnten diese dann auch gleich beschrieben werden – und schon ist eine Brücke zur Identität von Alt-Glarus gespannt. Simpel aber effektiv, wenn man ohnehin den Platz umgestaltet.

Nutzung

Die Gemeinde darf nicht zögerlich sein, die Strasse für Events regelmässig zu sperren – auch wenn dies zu Beginn vielleicht unbeliebt ist.

Erdgeschossnutzung ist auch heute schon ein wichtiger Teil des öffentlichen Raumes. Sie belebt die Stadt. Sie muss daher weiter gefördert werden. Besonders Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und Restaurants sind Gold wert. Die Gemeinde muss sich weiter als aktives Glied bei der Förderung solcher Einrichtungen positionieren. Dabei können vor allem die richtige Infrastruktur entlang der Plätze eine grosse Hilfe sein. Wie wäre es, die Seitenstrassen entlang des Rathausplatz ebenso für Gastronomie zu öffnen?

Man muss nicht mit dem Auto vor Läden parkieren, dass diese rentabel Geschäften können. Die belebtesten Orte einer Stadt sind meistens die Altstädte und Fussgängerzonen. Man macht sich damit nicht bei allen Glarner:innen beliebt, aber wieso man gerade im Kanton Glarus der Ansicht ist, man müsse überall parkieren können, damit Geschäfte überleben können, ist ein grosses Rätsel. Mehr noch, die Ansicht, Autos seien verantwortlich für eine belebte Stadt, ist der wohl grösste Trugschluss, zu dem man kommen kann. Es braucht dazu einfach einen Wandel, einen mutigen Schritt und ein Denken über den Tellerrand hinaus. Wir Glarner:innen sind doch gerne in hübschen Altstädten wie diesen, mit Restaurants und ohne Autos – wieso vergessen wir denn diese Qualität, wenn es um unsere eigene Stadt geht?



Katharina Stehrenberger beschreibt dieses Phänomen im Magazin Hochparterre vom September 2017 treffend: Ein wichtiger und nötiger Hebel ist die Haltung der Glarner:innen zu ihrer eigenen Stadt. Um den Ort in Schwung zu bringen, ist eine neue Sicht nötig – eine kulturelle Erfrischung. Die Voraussetzungen sind gut. Glarus verfügt über eine hohe Anzahl intakter Häuserzeilen, kennt private Freiräume in Vorgärten, Terrassen, auf Zinnendächern sowie auf öffentlichen Plätzen. Die Häuser im Wiederaufbaugebiet bieten Raum für Familien, für das Wohnen und Arbeiten unter einem Dach, für Wohngemeinschaften, aber auch für Büros, Ateliers und kulturelles Leben. Glarus ist ein Ort, der städtisches Lebensgefühl entfalten kann. Also dann – worauf warten wir noch?

#innenstadt

Eingabe: Ivo Oertli, Ennenda
Publikation: Werner Kälin, Ennenda

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Gesellschaft
  • Kultur

Publiziert am

17.10.2022

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