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Besser lenken – mehr teilen – klug vernetzen
Der Regierungsrat hat am 4. April 2023 die Petition «Glarner Verkehrswende jetzt» vom 21. Dezember 2022 beantwortet. Heute verdankt und reagiert das Netzwerk «Glarus zukünftig mobil» auf die Einschätzung aus dem Rathaus.
Wir erlauben uns, mit diesem Schreiben die Forderungen der Petition und unser Kredo «Besser lenken – mehr teilen – klug vernetzen» zu konkretisieren. Gemäss Ihrer Antwort sehen Sie die Aufgabe des Kantons in der Verkehrsplanung vor allem darin, Infrastrukturen bereitzustellen und das Angebot auszubauen. Aus unserer Sicht sind teure Ausbauten für die Verkehrswende jedoch nicht nötig, vor allem nicht auf dem Strassennetz. Erst in jüngster Zeit sind neue Kapazitäten entstanden und noch im Bau. Sie reduzieren den Strassenverkehr nicht, im Gegenteil; auch haben sich gewisse Probleme verstärkt, etwa der Schleichweg durch Dorfquartiere als Folge der Stichstrasse.
Eine zeitgemässe Verkehrsplanung zielt darauf ab, die bestehende Infrastruktur effizienter und klimaschonender auszulasten, was ausserdem kostengünstiger ist. Kurz: Wenig weitere Hardware, dafür eine bessere Software. Diesem Kredo folgen bereits benachbarte Kantone wie beispielsweise Zürich, trotz der deutlich grösseren Bevölkerungszahl.
Sowohl die nationale wie die kantonale Raumplanung stehen vor drei Aufgaben:
den Raum mit Blick auf das erwartete Bevölkerungswachstum zukunftsfähig zu gestalten,
sich möglichst gut an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels anzupassen
und einen maximalen Beitrag zum Schutz des Klimas und der Biodiversität zu leisten.
Dafür möchten wir uns einsetzen. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen erreichen, dass die Glarner Bevölkerung auch künftig mobil ist und ebenso zügig wie ressourcenschonend zu ihren Wohn-, Arbeits- und Freizeitorten gelangt. Dass dabei der Anteil des Autos an diesem Verkehr sinken muss, liegt auf der Hand – aufgrund der Klimakrise, wegen der engen Platzverhältnisse im Talboden sowie wegen der erwartbar steigenden Energiepreise wegen des begrenzten Angebots.
WAS KANN DER KANTON GLARUS DAFÜR KONKRET UNTERNEHMEN?
Die Petition fordert, dass der Regierungsrat «die Nachteile des Mehrverkehrs für die Bewohner:innen ernst nimmt und die Mobilitätsbedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer:innen anerkennt – vom motorisierten, individuellen Verkehr über den ÖV bis zum Velo- und Fussverkehr.»
Damit meinen wir nicht, dass das Angebot für alle Verkehrsmittel ausgebaut werden soll. Sondern dass die über weite Strecken hervorragende Infrastruktur im Kanton effizienter und ressourcenschonender betrieben und genutzt wird. Kurz: Besser lenken, mehr teilen, klug vernetzen.
Auf wenig befahrenen Strecken ist und bleibt das Auto wichtig. Auf den alltäglichen Strecken und Fahrten im Bereich des Haupttales sind andere, klimaverträgliche Verkehrsmittel dagegen sinnvoller und geeigneter. Hier soll der Kanton sein Strassennetz so gestalten, dass klimaverträgliche Verkehrsmittel neben dem Auto mehr Platz erhalten. So kann die Verkehrsfläche gleich gross bleiben, und der Gesamtverkehr wird umweltschonender, leiser und sicherer.
Die Petition fordert, dass der Regierungsrat «Entwicklungen fördert und in Lösungen investiert, die den Menschen im Kanton Glarus in den nächsten 20 Jahren wirklich etwas nützen, statt zu immer mehr Strassenverkehr führen.»
Für eine klimaverträgliche und damit zukunftstaugliche Mobilität sind keine neuen Strassen nötig, sondern neue Formen der Nutzung dieser Strassen. Wenn wir allein das Benzinauto durch das Elektroauto ersetzen, greift dies zu kurz. Auch das Elektroauto verbraucht pro Kopf weiterhin überdurchschnittlich viel Energie und Platz.
Die Strassen- und Verkehrsverhältnisse sind im Kanton Glarus aufgrund der Geografie vergleichsweise einfach. Der Alltagsraum besteht im Wesentlichen aus einem Haupttal, einem Nebental und dem Gebiet Kerenzerberg/Walensee. Hier muss die Bevölkerung auch in Zukunft mobil sein. Um das Auto als Hauptverkehrsträger abzulösen, soll der Kanton diese Mobilität ermöglichen und sicherstellen, indem die Bevölkerung verschiedene klimaverträgliche Verkehrsformen effizient kombinieren kann – zum Beispiel Velo und öV, Velo und Sharing-Auto, Elektrotrotinett und Arbeitsshuttle-Bus, Velo und Fahrgemeinschaft, ÖV und Rufbus – und so weiter.
Wege innerhalb der Dörfer sowie zu und von der ÖV-Haltestelle können Menschen zu Fuss, mit dem Velo, mit Elektrorollern oder Elektrovelos zurücklegen. An den Umsteigepunkten erleichtern angenehme Abstell- und Aufladeplätze die Nutzung. Dort kann die Bevölkerung umsteigen auf ein leistungsfähiges Verkehrsmittel wie Zug oder Bus, welches sie schnell über die grössere Distanz bringt. Diese Kombinationen sollen schnell gehen, sie sollen verfügbar sein, und sie sollen komfortabel sein.
Die Petition fordert, dass der Regierungsrat mit dem Bund neue Mobilitätsformen als Pionierkanton testet.
Aus unserer Sicht ist das Elektrovelo für den Kanton Glarus sehr vielversprechend. Es fährt schnell und weite Strecken und ist, wie das Auto, ein persönliches Verkehrsmittel. Dadurch lassen sich verschiedene Orte im Alltag einfach, individuell und zügig zu verknüpfen. Das E-Bike ist eine Form des motorisierten Individualverkehrs, jedoch eine klimaverträgliche, leise und platzschonende. Als teilweiser Ersatz des Autos kann das Elektrovelo einen zentralen Beitrag zur Verkehrswende leisten.
Das laufende «Leuchtturm»-Forschungsprojekt «E-Bike-City» der ETH Zürich untersucht genau dieses Potenzial. Es sucht Lösungen dafür, wie der Platz auf der Strasse anders aufgeteilt werden kann. Oder wie der öffentliche Verkehr bedarfsgerecht gesteuert werden kann, wenn die Menschen wegen Regen, Schnee und Kälte umsteigen möchten oder müssen. Das Elektrovelo eignet sich nicht nur für die Stadt, sondern ebenso hervorragend – oder fast noch mehr – für zusammenhängende Siedlungsgebiete wie Glarus Nord und Glarus. Denn der Nutzen des Motorvelos ist dort am höchsten, wo man nicht zu Fuss gehen oder Tram fahren kann, wo der öffentliche Verkehr dünn ist und das Velofahren anstrengend, weil die Strecken weit und die Steigungen saftig sind. Dies sind alles alte Gründe für das Auto und neue für das E-Bike. Zudem sind viele Strecken in den Städten genauso lang wie im ländlichen Siedlungsgebiet. Wer beispielsweise von Zürich-Höngg nach Zürich-Tiefenbrunnen zur Arbeit fährt, pendelt weiter als von Näfels nach Glarus.
Wir empfehlen deshalb, dass sich der Kanton Glarus als Pilotkanton zur Verfügung stellt, damit das Forschungsprojekt auf Siedlungsräume wie im Kanton Glarus ausgedehnt wird. Dies in Zusammenarbeit mit dem Bund. Denn der Bund kann die übernommene Kantonsstrasse zwischen Glarus und Näfels für die nächsten 20 Jahre – bis eine Umfahrung frühestens eröffnet werden kann – nicht im heutigen Zustand weiterbetreiben. Die Auswirkungen auf das Klima und auf die geplagte Bevölkerung in den Dorfzentren sind zu hoch. Auch mit den Umfahrungen werden die problematischen Seiten des Strassenverkehrs nicht verschwinden – im Gegenteil: Mit der Verkehrszunahme wird sich die Situation an vielen Orten noch zuspitzen. Last but not least: Das neue Veloweggesetz verpflichtet nicht nur den Kanton, sondern auch den Bund, eigene Veloanlagen in hoher Qualität zu planen und zu erstellen.
Weiter könnte eine immobilienökonomische Studie herausfinden, wie stark der Wert von Immobilien entlang der Strasse steigt, wenn die Strasse so betrieben wird, dass sich die Lebensqualität in den Dörfern verbessert. Eine solche Studie dürfte Hausbesitzer:innen interessieren. Im Gegenzug zur geldwerten Aufwertung können die Gemeinden diese zur Sicherung von preisgünstigem Wohnraum verpflichten, sodass später nicht jene verdrängt werden, die den Verkehrslärm bisher ertragen haben.
Gewohnheiten zu ändern, fällt schwer. Wir sind jedoch überzeugt, dass ein Teil der Bevölkerung dazu bereit ist, ihr Verkehrsverhalten anzupassen, wenn der Kanton das gesamtmobile Denken fördert und unterstützt.
Da jede Veränderung im Kleinen beginnt, arbeitet die Verkehrsplanung zunächst mit Tests und temporären Projekten. Mit Pilotprojekten verliert man nichts und gewinnt Erkenntnisse für die Planung. In diesem Sinn sind wir überzeugt, dass der Kanton mit temporären Projekten weiterkommt, und schlagen folgende partizipative Pilotprojekte zusammen mit der Bevölkerung vor:
Freie Fahrt für E-Bikes: das temporäre (stundenweise) Umleiten des Autos von der Hauptstrecke, damit die Leute mit E-Bikes die schnellste und direkteste Strecke testen können
Autofreie Samstage mit günstigen E-Bike-Cargo-Angeboten im Pilotbetrieb
Aktionswochen E-Bike mit ausgewählten Arbeitgeber:innen wie Swisspearl, Post, Läderach und kleinere KMU
Firmen belohnen, welche unter ihren Mitarbeiter:innen die Anfahrt per ÖV, Velo oder in Fahrgemeinschaften fördern; zum Beispiel, indem sie Parkplätze reduzieren, kostenpflichtig machen und stattdessen Arbeitsshuttles organisieren
Aktionswochen «Velo» an Glarner Schulen: Challenges pro Klasse, um auf dem Schulweg Velo-Maximalpunkte zu sammeln
«E-Bike» Testtage an Glarner Berufsschulen
für den Freizeitverkehr den Test mit öffentlichen Shuttles in die Erholungsgebiete wie Obersee, Klöntal, Mullern
Shuttle-Kleinbusse in die Einkaufszentren Wiggispark und Krumm inklusive Lieferservice
Der Regierungsrat hat an der Näfelser Fahrt unlängst wunderbare Worte an die Bevölkerung gerichtet. Es brauchte «den Mut, sich für eine bessere Welt einzusetzen und dabei hoffnungsvoll und zuversichtlich zu bleiben. Es brauche den Mut, Visionen und neue Denkanstösse zuzulassen.» Nutzen Sie Ihr politisches Handlungsfeld im Bereich der Verkehrsplanung. Wir freuen uns, wenn Sie Ihren eigenen Worten tatkräftig folgen.
Als Netzwerk «Glarus zukünftig mobil» stehen wir Ihnen als Ansprechpersonen und Expert:innen zur Verfügung. Gerne laden wir Sie zu einem Treffen und Austausch mit uns ein, um mögliche kleinere oder grössere Schritte für eine allfällige Beteiligung als Pilotkanton zu besprechen.
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Netzwerk «Glarus zukünftig mobil»
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Kategorie
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