Glarus

Strassenmusik: Teil der Stadtkultur oder Ärgernis?

Die Schweizerhofstrasse ist nicht der Alexanderplatz und die Glarner Post nicht das Centre Pompidou – und doch haben sie eines gemeinsam: Es sind begehrte Orte für Strassenkünstler.

Vorweg: Ich habe keine Ahnung, ob das legal ist, wenn da Leute (die auch noch ganz offenbar nicht von hier sind), neben dem Veloständer an der Glarner Post ihre Musikinstrumente auspacken oder sich als Skulptur inszenieren. Vermutlich ist es ebenso wenig erlaubt wie das Betteln in der Öffentlichkeit. Wann genau das in Glarus mit den Strassenkünstlern angefangen hat, ist mir ebenso unklar, sie waren einfach plötzlich da, vor ein paar Jahren. Die Geschminkten und Verkleideten sind zumindest stumm, sie nehmen nur ein bisschen Platz in Anspruch. Musik dagegen ist bekanntlich Geschmackssache, und Weghören geht kaum. Eine Zeitlang waren vor der Migros englischsprachige Liebeslieder, mit Gitarre begleitet, zu hören. Seit gestern sind zwei ungarische Geiger vor der Post anzutreffen. Oh, die sind gut, sie holen aus den eher abgehalfterten Violinen richtig was heraus!! Da könnte ich lange stehen bleiben. Es sind studierte Musiker, sie ziehen von Ort zu Ort, morgen nach Rapperswil. Ob ich ein Foto machen darf? Ja, klar! Rückfrage: Ob ich auch Musik mache, ja, welche denn? Die beiden haben offenbar Spass am Spielen und am Kontakt mit dem Publikum: „Ist doch Frühling, hier brauchen ein bisschen schöne Musik!“ Tatsächlich ist es dem Duo gelungen, mein eben noch etwas gestresstes und unzufriedenes Gemüt deutlich aufzuheitern.


Die Begegnung bringt mich ins Nachdenken. Bei Strassenmusik bin ich zwiegespalten. Die ewigen Panflötenspieler am Züri Flughafen gehen mir schon von weitem auf den Geist, und ich mag es nicht, wenn jemand auch noch CDs abspielt oder verkauft. Naja und wenn einer immer nur ein und das dasselbe Lied kann, wird es schon unerträglich. Fragen zur Qualität der Musik und dem Grad der Lärmbelästigung dürfen gestellt werden, und die Antworten hierauf finden auch in den teils sehr umfangreichen Reglements verschiedener städtischer Behörden im In- und Ausland Niederschlag.


Vielerorts geht spontan beinahe nichts mehr! Es braucht Bewilligungen, Gebühren, manchmal Fähigkeitsnachweise. In Berlin etwa wurde eine Strassensängerin zu 1000 Euro Busse verurteilt – nicht wegen schlechter Musik, sondern weil sie ihren Gitarrenkoffer auf dem Trottoir platziert hatte. Das Singen zum unverstärkten Instrument sei zwar erlaubt, jedoch nicht das Abstellen von Ausrüstung. Auch das Sammeln von Geld ist dort nichts Ungesetzliches; entsprechend müsste wohl ein Instrumentenetui oder Körbchen, in dem diese Spende Platz finden soll, schwerelos in der Luft oder sonst wo baumeln. Wegen derartiger Bürokratie seien an vielen einst international bekannten Strassenmusikplätzen die Klänge offenbar am Verstummen. „Londoner Bürgermeister fordert mehr Straßenmusik“, meldet z.B. Spiegel online 2014 und fährt fort: „London ohne Straßenmusiker? Eine traurige Vorstellung. Doch auch der letzte Stadtteil hat strenge Regeln gegen die Künstler erlassen. Bürgermeister Boris Johnson befürchtet einen Verlust des Spontitums…“  Und Deutschlandradio Kultur beklagt 2016: „…Dass sich irgendetwas in Paris verändert hat, merkt, wer sich gezielt auf die Suche macht: nach Musikern auf der Straße. Früher gab es sie in der Innenstadt rund ums Jahr bald an jeder Ecke – in diesem Sommer, so scheint es, machen sie sich rar.“ Wobei man vermuten muss, dass in Paris Terrorangst und eine strenge Kontrolle des öffentlichen Raums mitverantwortlich sein dürften für die Flucht der mobilen Künstler. Würde heute noch ein Fakir oder Feuerschlucker mit einem langen Bart und Turban vor dem Centre Pompidou auftreten wie dereinst, müsste er vielleicht damit rechnen, als IS-Verdächtiger angesehen oder gar verhaftet zu werden.


Insofern also mag es ja ein gutes Zeichen sein, dass man in Glarus jenen harmlosen Gauklern und Spielern ein Stück des öffentlichen Raums zugesteht (sei es nun legal oder nur geduldet) – solange sie überwiegend erfreuen, anstatt Anstoss zu erregen. Können sie das Stadtbild durch ihre Kultur bereichern? Oder ist das keine Kultur? Was ist überhaupt Kultur?


Alle wollen Kultur, alle brauchen Kultur zum Leben, alle beschwören sie - aber welche? Ist es beliebig oder persönlich, vielleicht sogar höchstpersönlich, was wir als Kultur bezeichnen? Oder gibt es Kriterien dafür? Kriterien, die gerade im Fall der Strassenkunst die Spreu vom Weizen trennen können (und auch natürlich in der „offiziellen“ Kultur?)? Wahrscheinlich gibt es dazu unzählige Definitionen. Die schaue ich jetzt aber nicht nach. Ich mache mir, so wie Pippi Langstrumpf, eine eigene Kulturdefinition, die möglichst praktisch sein soll!  K – U – L –  T – U – R , das wäre z.B.:


K wie Können, U wie Unterhaltung, L wie Lebendigkeit, T wie Teilhabe (hier meine ich nicht in erster Linie die Teilhabe am Geldumlauf des Kulturbetriebs, sondern ein gemeinsames Erlebnis von Produzenten und Rezipienten), U wie Ungewöhnliches/Originelles (Originelles wäre schöner, aber dann hiesse es KULTOR– wie unschön!) und …nicht zuletzt R wie Respekt (das schliesst ein, dass man Menschen, Tiere und Umwelt nicht über Gebühr belästigt oder gar beschädigt mit seinem Output).


Ich gestehe, ich habe als Studentin mit einem Trio auch schon Strassenmusik in deutschen Einkaufsmeilen gemacht, und wir haben uns über den Erlös für einen Pizzaschmaus oder zuweilen ein spontanes Engagement gefreut. Ob wir die oben genannten Kriterien dabei erfüllt haben? Manche mehr, manche weniger. Doch die Ungarn heute, die hatten das drauf, soviel kann ich sagen!    


Swantje Kammerecker       

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

29.03.2017

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