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Mein Thema 2023: Papiergerümpel
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Glarus

Was kommt nach dem Jahr des Kleiderfastens?

Ein Jahr lang keine Kleider, keine Schuhe, keine Textilien kaufen! Das war mein Projekt fürs 2022. Es ging erstaunlich leicht. Trotzdem wird einiges im neuen Jahr anders.

Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» macht in der ersten Nummer vom 2023 zum Titelthema «Warum der Kapitalismus nicht mehr funktioniert – und wie er sich erneuern lässt».  Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für Wohlstand und Weiterentwicklung; das immer-mehr höher-weiter als steter Antrieb des Menschen; das Dogma vom Markt, der alles regele; die Profitmaximierung von Unternehmen als «Garant der sozialen Fürsorge»: Daran zweifeln inzwischen offenbar nicht nur Altsozis und Neumarxisten, sondern auch immer mehr gewiefte Wirtschaftsmagnaten und -theoretikerinnen.


Was hat das jetzt mit meinem Thema vom Kleiderfasten zu tun? Vielleicht ist «Konsummüdigkeit» das Stichwort. Oder auch: Die Sehnsucht nach einem Ressourcen schonenderen Leben. Die nehme ich weitherum wahr. Dass wir mit dem Turbokapitalismus unseren Lebensraum zuverlässig ruinieren, ist zwar nichts Neues: Die Studie des Club of Rome «Grenzen des Wachstums» ergab schon vor einem halben Jahrhundert (1972), dass im Jahr 2100 die Ressourcen der Erde mit den bisherigen Koordinaten des Wachstums erschöpft seien. Doch statt auf die Bremse zu treten, wurde eher beschleunigt – nicht nur die Lebenszyklen von Haushaltsgeräten, Elektronik und Fahrzeugen, sondern eben auch die Mode: «Fast Fashion». Mit dem spanischen Mode-Giganten Zara ging es richtig los: Eine Kollektion jagt die nächste. Entworfen (oder geschickt kopiert), genäht und ausgeliefert wird immer schneller. Manche Unternehmen brauchen dafür nur zwei Wochen! Dem Erfolg solcher Ketten nach muss die Zahl der Shopping-Süchtigen ebenfalls gewachsen sein – jedoch auch das Lager der Kritischen oder Ablehnenden. Denn wer sich einmal richtig in diese Thematik vertieft hat (sehenswert: https://www.srf.ch/sendungen/school/gesellschaft-ethik-religion/die-dunkle-welt-der-billigmode-fast-fashion), der ist ebenso tief entsetzt wie nach einem Film über Massentierhaltung und Billigfleisch. Deshalb ists keine besondere Heldentat, auf das Billigshirt zu verzichten, wenn unausweichlich vor dem inneren Auge die 2000 Liter Wasserverbrauch, die durch Pestizide geschädigten Erntehelferinnen oder die ausbeuterischen Nähfabriken in Übersee erscheinen. Ganz zu schweigen von den wachsenden Fast-Fashion-Müllhalden. Natürlich geht es auch anders. Vor drei Jahrzehnten, als Zara und Co zu boomen begannen, etablierten sich auch Unternehmen, die schon damals bewusst  ihr Wachstum begrenzten, auf Langlebigkeit setzten und in einer Kreislaufwirtschaft Gebrauchtes zurücknehmen. Im besagten Spiegel-Artikel wird als Beispiel der Schweizer Taschenproduzent Freitag erwähnt, der für seine Kunden die eigenen Produkte zum Selbstkostenpreis repariert, was offenbar rege genutzt wird.


Eigentlich ist es ganz einfach: «Reduce, re-use, recycle» (Reduzieren, Wiederverwenden… bei Kleidern etwa durch weiterschenken, tauschen, flicken oder umgestalten… und erst dann recyclen – also in den Wertstoffkreislauf zurückgeben, wenn die ersten beiden Möglichkeiten ausgeschöpft sind). Damit bin ich 2022 gut klar gekommen, und es hat mir an nichts gefehlt. Dies – da ich nähtechnisch eine Niete bin – auch dank einer kundigen Freundin und meiner Tochter, die mir ab und zu etwas ausbesserten. Und in gröberen Fällen ging ich zum Nähatelier in Glarus, für das ich höchst dankbar bin. Auch der Schuhmacher im Nachbarort wurde aufgesucht, so liessen sich zwei noch gute Paar Schuhe mit kaputten Sohlen retten; es funktioniert aber nicht bei billigen Tretern. Gute Reparaturarbeit hat einen Preis; unterm Strich aber ist das Flicken oft günstiger als ständiges Wegwerfen und Neukaufen (die Kosten für Umweltbelastung kämen dazu). Der Kleider-Secondhand bei mir um die Ecke, bei dem ich wegen meiner Challenge 2022 nur reingeschaut habe, aber abstinent blieb, hat kürzlich leider dicht gemacht. Aber wenn ich jetzt was Neues brauchen würde, weiss ich dank meiner Recherchen, wo ich sonst noch in Glarus gute Secondhand-Kleidung finde. Es bleibt also dabei: Auch im 2023 will ich möglichst wenig Textilien neu kaufen (bei Socken und Unterwäsche wird es schwierig. Da ist dann Öko-Fairtrade die Wahl).


Aber Mode ist inzwischen eher zu einem Nebenthema geworden. Das Prinzip «Reduce, re-use, recycle» neigt nämlich dazu, sich schnell auch auf andere Lebensbereiche auszubreiten. «Repair und Share» , also Reparieren und Teilen, ergänzen diese Trilogie bestens und sind im Trend. Nur schon in den heutigen «Glarner Nachrichten» sind zwei Artikel mit tollen Beispielen, siehe oben! Man kann auch Food Waste vermeiden und seinen Raumbedarf (und damit Energieverbrauch) optimieren. Aufs neue Jahr habe ich meine Büroräume gekündigt und werde dafür andere mehrfach nutzen. Die Züglete, mit der ich jetzt  beschäftigt bin, fördert zutage, dass ich meine Sachen drastisch reduzieren muss, allein aus Platzgründen! Vieles ist wirklich zu viel – und bereits eine Menge zurück in den «Wertstoffkreislauf» gelangt. Als ich kürzlich die zahlreichen Bücher meiner Badezimmer-Bibliothek ausgemustert habe (Sie lesen richtig: Bücher im Badezimmer. Oh ja. Und sonst auch in fast jedem Zimmer des Hauses…), fiel mir ausgerechnet Karen Kingstons «Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags» (2011) in die Hände. Und per Zufall öffnete sich die Seite über das «Papiergerümpel». Tja, ertappt. Denn das ist wirklich mein Problem: Ich horte Bücher und überhaupt Papier. Laut der Autorin sammeln Leute Sachen – seien es Dekotiere wie Enten, Schweinchen oder Elefanten … aber auch eben Elektrokabel, Haushaltsgeräte und Werkzeug… Kleidung, Taschen, Schuhe… und Bücher halt! – weil sie mit genau diesem Produkt ein emotionales Defizit zu stillen suchen. Doch das Ziel sei so nicht zu erreichen. Und Loslassen schmerzhaft, da mit Verlustängsten verbunden. Erst wenn man das tiefere Bedürfnis hinter diesen Sammelobjekten erkenne und es direkt angehe, trete Besserung ein. Auf Anhieb habe ich erkannt, dass dies meine Baustelle fürs 2023 sein wird. Papiergerümpel. Tatsächlich habe ich von allen Dingen im Haushalt die innigste Beziehung zu meinen Büchern. Sind sie nicht ein Stück meiner Lebensgeschichte, ja ein Teil von mir selbst, treue Begleiter? Und doch sind es zu viele, es werden immer noch mehr, und etliche stehen nutzlos rum. Man gibt sie nicht weg, weil sie damals in der ersten Studenten-WG standen oder von xy geschenkt wurden oder weil man aus ihnen gelernt hat – bis zum Examen – und dafür das Geld sauer verdienen musste, mit Nachtwachen im Spital. Aber jetzt sind sie uninteressant, ideologisch verbohrt oder veraltet, es gäbe viel bessere Informations-Quellen. Sind sie also wirklich ein Stück eigenes Leben oder nur Symbole, Stellvertreter für eine bestimmte oder unbestimmte Sehnsucht oder Nostalgie? Ich werde mich prüfen. Und dass ich selber schreibe und Bücher produziere, macht es nicht leichter. Da muss ich mich hinterfragen, ob es das, was ich da hervorbringe – auch wenns mir noch so viel Spass macht –  wirklich braucht oder nur den ebenfalls von Beschleunigung und Überfluss gebeutelten Buchmarkt weiter zumüllt?


Ach, ist das schwierig. Kleiderfasten wäre leichter. Eine Kollegin sagte letztes Jahr zu mir: «Das mit deinem Kleiderfasten finde ich mega. Das werde ich nie schaffen, glaube ich.» Und aufs 2023 erklärte sie mir, habe sie sich aber nun auch etwas vorgenommen: Bücherausmisten, Bücherfasten (so wenig kaufen wie möglich), Bücher an eine spezialisierte Brocki spenden, die damit soziale Projekte finanziert. Ob ich da mitmachen wolle? Ich zögerte, aber ich werde ihr bald Antwort geben müssen.   

Text: Swantje Kammerecker



                

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

07.01.2023

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