Vorpremiere "Mit Abstand... beschränkt"
Vorpremiere "Mit Abstand... beschränkt"
Leopold Ramhapp und Roger Rhyner
Leopold Ramhapp und Roger Rhyner
Der Chaot Wendelin
Der Chaot Wendelin
Unerwartetes Geschenk
Unerwartetes Geschenk
Menschliche Bedürfnisse
Menschliche Bedürfnisse
Der Pedant Blasius
Der Pedant Blasius
Screenshot Website fabriktheater.info
Screenshot Website fabriktheater.info

Glarus, Ostschweiz

Phönix aus der Asche streckt seine Flügel aus

Bei der jüngsten Erfolgsgeschichte der Chliibüni Glärnisch, welcher im ohnehin schwierigen Corona-Jahr auch noch das Probenlokal abbrannte, drängt sich fürwahr das Bild vom mythologischen Vogel Phönix auf, der aus der Asche in neuer Pracht wieder ersteht. So wie das jüngst mit der Produktion „Mit Abstand… beschränkt“ eingeweihte, neu geschaffene Fabriktheater Schwanden in der alten Therma. Ein Augenschein zeigt das Potenzial des wohl im Kanton Glarus einzigartigen Kleintheaters.

Ob in der Roten Fabrik in Zürich, im Berliner Moabit-Theater oder diversen (gross-) städtischen Souterrain-Theatern: Der Charme von Kleinkunstbühnen, die oft auch heimelige Begegnungsräume für Publikum und Kunstschaffende sind, ist unvergleichlich. Ich erinnere mich, vor Jahrzehnten, an ein erstes solches Erlebnis in den 80-er Jahren, das Ein-Personen-Stück „Der Kontrabass“ in einem rheinischen Kleintheater, dessen spezielle Stimmung ich bis heute abrufen kann. Im Kanton Glarus fehle so ein Angebot, hörte ich immer wieder, und empfand das auch selbst so, wenn wir für bestimmte Veranstaltungen passende Räume suchten. So zieht sich dieses Thema etwa auch durch die Geschichte der 100-jährigen Kulturgesellschaft Glarus, in deren Vorstand ich mitwirke. Ehemalige erzählten mir von etlichen Versuchen, für die Sparte Kleinkunst entsprechende Bühnen zu finden: So etwa sollen einmal Pläne bestanden haben, das alte Medienhaus der Glarner Nachrichten umzubauen, woraus aber nichts wurde. Auch da, wo früher das alte Glarner Kino stand, hätte man sich so ein Kleintheater wünschen können. Im Güterschuppen arbeitet man ebenfalls an der Bühnentauglichkeit, aber noch ist es eher ein Ausstellungsraum. In Schwanden hingegen wurde in wenigen Monaten aus einer Industriebrache ein nigelnagelneues Kleintheater „aus dem Boden gestampft“ – eine riesige und erstaunliche Leistung privater Kulturanbieter, bei denen der Weg von der Idee zum Plan und zum Ziel oft eine steile Direttissima nimmt.


Ein Stück weit ist dieses Kulturengagement typisch für den Kanton Glarus, dessen kulturelles Leben stark auf solchen privaten Initiativen abgestützt ist, so beschreibt es auch das aktuelle Kulturkonzept des Kantons Glarus in seinem Einführungskapitel. Dahinter stehen immer Menschen. So wie der Verein Chliibüni Glärnisch, der für den Bau und die Ausstattung – und dazu gehören auch eine Zuschauertribüne, ein eigener Technikraum und ein elektronisch gesteuerter Bühnenvorhang – tief ins Vereinssäckel griff. Dazu die unzähligen Stunden an Fronarbeit, welche die Mitglieder beim Innenausbau einsetzten „bis die Knie schmerzten“ (so Leopold Ramhapp). Und ein erfolgreiches Netzworking – so kam man zu ausrangierten Stühlen aus einem Schulhaus und recycelten Stoffen aus dem Reservoir einer anderen Theaterkompagnie. Das vor dem Bühnenraum eingerichtete, mit bunten Möbeln bestückte Bistro gehört zum Konzept; auch ohne eigene Küche ist mit Theke und Kühlschränken für einen Barbetrieb gesorgt, der dank gelockerter Corona-Regeln auch wieder genutzt werden darf. Fürs Catering steht bei Bedarf mit Sirana ein junges Glarner Unternehmen bereit.


Leopold Ramhapp und Roger Rhyner sind nicht nur die Autoren und Akteure des aktuellen Corona-Stückes „Mit Abstand… beschränkt“, sie sind auch Zugpferde „ihres“ neuen Theaters. Als Journalistin erhalte ich sofort eine Einladung, ihr neustes Werk als Vorpremiere anzuschauen. Die sechs Vorstellungen – mit der vorläufig letzten am 19.6. geht der Theatermarathon vorerst in eine Sommerpause – waren sämtlich ausverkauft; dort konnten aufgrund der geltenden Abstandsregeln nicht alle Plätze besetzt werden, so dass insgesamt etwa 300 Personen „bespielt“ werden können. Dass die Tickets vorne und hinten nicht reichen würden, war dem Veranstalter schnell klar; deshalb wurden unterdessen 12 weitere Spieldaten nach den Sommerferien festgelegt, die man nun auch buchen kann. Je nach weiteren Covid-Lockerungen werden dann vielleicht Zweidrittel der Stühle besetzbar sein; Platz hätten eigentlich bis zu 150 Personen (Daten und Tickets siehe unten).


Das Stück selbst erfuhr rund um die Premiere bereits auf allen Glarner Medien breite Beachtung – deshalb sei hier vor allem auf ein paar bildliche Eindrücke verwiesen, die sicher gluschtig auf den Besuch machen. In dem Zweimann-Stück spielt Roger Rhyner den liebenswerten und lebensfrohen „Chaoten“ Wendelin und Leopold Ramhapp den überkontrollierten und peniblen Blasius, die sich als nachbarliche „Quarantäneopfer“ unweigerlich näherkommen. Einerseits prallen ihre Welten immer wieder aufeinander, andererseits entdecken sie mit der Zeit erstaunliche Gemeinsamkeiten. Pech, Pannen, und schliesslich das intrigante Spiel einer unsichtbaren Strippenzieherin machen aus den beiden eine Schicksalsgemeinschaft. Mit viel Tempo, Slapstick und zuweilen auch derben Sprüchen und Begebenheiten (die dann, auf die Spitze getrieben, sich selbst karikieren und die holde Männerwelt ab absurdum führen) geht es hoch zu und her. Mit den zwei unterschiedlichen Typen von Protagonisten ist die Spannung vorgegeben; und offenbar hatte es das Duo auch im Entstehungsprozess des Stückes beim wechselnden Schreiben und Umändern der Szenen nicht immer nur leicht. Ins Gleichwicht bringt die Sache, dass beide starke Schauspieler mit viel Talent sind.


Auch punkto Weiterentwicklung der neuen Institution Fabriktheater bringt sich jeder entsprechend seiner Art sein: Roger Rhyner sprudelt vor Ideen und will am liebsten alles sofort umsetzen. Leopold Ramhapp sieht vor allem den langfristigen Aufbau des Fabriktheaters als wichtig an. Dieses möchten sie betrieblich von der Chliibüni Glärnisch separieren, um das Spektrum für andere Akteure zu erweitern. So ist angedacht, kleine und feine, nicht zu überladene Saisonprogramme fürs Fabriktheater zu kreieren, wobei sich andere Vereine und Veranstalter beteiligen können. Bereits wurden die Fühler ausgestreckt in Richtung des Kulturvereins Glarus Süd, der Glarner Musikschule und der Kulturgesellschaft Glarus. Zudem können die Räume gemietet werden: so etwa die Bühne für Proben und das Bistro für Feste. Wichtig ist den Eigentümern, dass dort möglichst vielfältige Kultur stattfindet, dass Menschen sich vernetzen und „einfach durch Kultur beglückt werden“, so Ramhapp. Ihnen geht es nicht darum, Gewinn zu machen, aber natürlich sollte das Fabriktheater kostendeckend arbeiten können. 


Als erstes neues Format wird im Fabriktheater in der nächsten Saison regelmässig „Ein Abend mit…“ stattfinden. Der Radio-Zürisee-Moderator Martin Diener wird dabei jeweils mit einem prominenten Gast auf der Bühne ein Gespräch führen. Die neuen Spieldaten für „Mit Abstand… beschränkt“ sind auch schon bekannt: Im Juli sind dies der 29.7., 30.7., 31.7., dazu im August der 19.8., 20.8., 21.8., im September der 2.9.,  3.9., 4.9.  sowie 16.9.,  17.9., 18.9. (Tickets und Infos www.fabriktheater.info) Und ein Blick in die Zukunft: Im nächsten Jahr soll wenn möglich die 2020 coronabedingt ausgefallene Produktion „Schrägi Vögel und komischi Käuz“ (aus der Feder von Roger Rhyner) nachgeholt werden. Aber auch Leopold Ramhapp hat bereits ein neues Theaterstück geschrieben.


Der Phönix aus der Asche streckt also seine Flügel aus, zu einem nächsten grossen Flug. Vielleicht höher und weiter, als er sich das vorher hätte erträumen können. Der Hunger der Glarner auf Theater und Kultur scheint jedenfalls nach der Corona-Krise grösser denn je.


Swantje Kammerecker  

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus
  • Ostschweiz

Publiziert am

23.06.2021

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www.glarneragenda.ch/5GDJtr