alles so schön bunt hier / Foto Eva Gallati
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die drei Noras / Foto Eva Gallati
die drei Noras / Foto Eva Gallati
100 Milliarden / Foto Eva Gallati
100 Milliarden / Foto Eva Gallati

Glarus

Nora gestern, Nora heute, Nora morgen

Nora mag nicht mehr, sie hat genug davon, von ihrem Ehemann liebevoll verspottet und vorgeführt zu werden, sie mag nicht mehr sein Eichenkätzchen, seine Singlerche sein, sie verlässt Mann und Kinder. Das Theaterstück „Nora oder ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen wird 1879 uraufgeführt. Die Grenzgänger Theaterproduktion greift das Thema unter dem Titel „Nora Nora Nora“ wieder auf.

Was passiert, wenn eine Frau ihre Familie, Mann und Kinder verlässt? Im Jahr 1879 wurde das Theaterstück „Nora oder ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen uraufgeführt. In der aktuellen Grenzgänger Theaterproduktion Nora Nora Nora wird die Thematik wieder aufgenommen, es prallen unterschiedliche Perspektiven zum Thema der Gleichstellung in Gesellschaft und Familie aufeinander.

Anlässlich des equal pay day gestalteten die Gleichstellungskommission und die Frauenzentrale Glarus gemeinsam am 25. Februar einen Abend. Als erster Teil fand eine Impulsveranstaltung von economiefeministe statt. Lisa Briner und Anja Peter von Economiefeministe führten durch den Vortrag, der von gut 20 Personen besucht wurde (Männeranteil ca. 8%). Am Abend wurde als zweiter Teil das Theaterstück Nora Nora Nora aufgeführt.


Empörende Zahlen

Economiefeministe vermittelt ökonomisches Wissen aus feministischer Sicht, anders als es an den Universitäten gelehrt wird. Die wirkungsmächtigste Wissenschaft ist noch immer männlich geprägt. Der Verein besteht seit 2020, sein Zweck wird in den Statuten folgendermassen definiert.

 

Der Vortrag beginnt mit einem „kurzen historischen Rückblick“ über die vergangenen 140 Jahre, also etwa von 1880 bis 2020. 
  • Seit Beginn der Industrialisierung übt die Frauenbewegung Kritik an der Verteilung und Organisation von Einkommen, Vermögen und Arbeit
  • Bis 1960 bestanden die Bildungssysteme getrennt nach Geschlechtern, die letzten Trennungen verschwanden erst 1990
  • Bis 1988 war der Mann das Oberhaupt der Familie. Die Ehefrau brauchte seine Zustimmung, wenn sie erwerbstätig sein wollte.
  • Der heute am stärksten wachsende Wirtschaftssektor sind die personenbezogenen Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung) – die Arbeit wird zum grössten Teil von schlecht bezahlten Frauen geleistet
  • Die Anzahl der Abschlüsse an Hochschulen sind heute höher bei Frauen als bei Männern
  • Heute sind 4 von 5 Müttern erwerbstätig, die Schweiz ist hier europäische Spitzenreiterin
  • Frauen verdienen durchschnittlich 19% weniger als Männer
  • Frauen reduzieren mitten in der Erwerbsphase ihre Arbeitspensen, um unentgeltlich Haus- und Betreuungsarbeit zu leisten (im Gegensatz zu Männern, die nie so viel arbeiten wie während der Familienphase)
Diese und viele weitere Schlussfolgerungen hat Economiefeministe aus den Statistiken über Erwerbstätigkeit erarbeitet.
 
 
Vortrag von Economiefeministe
 
Economiefeministe stellt aber auch Fragen:
 
Personenbezogene Arbeit ist teuer für die Konsumenten, man denke nur an die Kinderbetreuung - die Löhne der Angestellten sind aber sehr niedrig. Wer verdient an der Differenz? Wie können diese Faktoren in ein besseres Verhältnis gebracht werden?
 
Für Frauen ist ökonomische Unabhängigkeit praktisch unmöglich, ausser sie verzichten auf Kinder, auf Familie. Warum ist die unbezahlte Arbeit an den Frauen hängen geblieben? Wie kann sie gerechter verteilt werden?
 
Eine Frau zu sein bedeutet also zusammengefasst: Viel Arbeit, Stress und schliesslich Armut im Alter - ausser wir ändern die Bedingungen!

 

Nora Nora Nora ...


... will nicht mehr

Noch zwei Tage, bevor sie ihren Mann verlässt, ist Ibsens Nora überzeugt: „Irgendwann passiert es, das Wunderbare“.

Jede der drei Noras verkörpert einen Aspekt von Nora. Zu Beginn tuscheln sie miteinander: „gestern ist in der Wohnung neben mir eine Frau eingezogen, ich sah sie ganz alleine auf dem Balkon eine Zigarette rauchen“ – „die ist sicher zuhause ausgezogen“ – „meinst du sie vermisst ihre Kinder?“ – „alleine kann man doch gar nicht glücklich sein“. 

Eine Nora wird mit Komplimenten überhäuft für ihr schönes Heim, sie reagiert bescheiden, sie wird so verlegen dass sie windet bis sie am Boden liegt, begraben unter dem Lob, das ihr unverdient erscheint. „Mein Mann sagt immer: wenn ich einmal pleite bin, kannst du ein Restaurant eröffnen mit deinen Kochkünsten – und wenn das nicht rentiert, arbeitest du als Innendekorateurin!“

Foto von Museums Victoria auf Unsplash

Wenn sie erst erschrocken einen kleinen Schrei ausstossen, dreistimmig synchron den Mann (Helmer wie bei Ibsen) begrüssen: „oh Helmer, da bist du ja, entschuldige, aber wie seh‘ ich denn aus? Schau da ist mein Helmer, ist er nicht toll?“, ist das unheimlich. Der dominante Hecht bekommt die volle Aufmerksamkeit, Nora kritisiert sich selber in allem was sie äussert, probiert es mit verzweifeltem Humor zu überspielen und lacht sich selber dafür aus.

Die scheinbar grundlos wütende Nora fesselt sich mit einem Kabel an die Requisite, um während des Ausdrucks ihres überwältigenden Gefühls nicht den Boden unter den Füssen zu verlieren.
 

„Männer, teilt den Schmerz mit uns!“

Es ist eine unterhaltsame, kurzweilige Folge von Sequenzen aus dem Frauenleben, die wir alle kennen. Es ist laut, bunt, übermütig, lustig – und beängstigend, als eine Nora mit langen Haaren, die ihr Gesicht verdecken, düster hingekauert eine Zigarette hervornestelt, sie anzündet, und während sie hastig raucht, einen Monolog hält. Darüber, dass alles Private auch politisch ist. Es ist ein langes, kompliziertes Zitat. Dass Politik und Privatleben einander beeinflussen, wurde 1970 erstmals öffentlich als wichtige Erkenntnis verkündet. Der Name Ulrike Meinhof fällt. Ist die Abkehr vom gesellschaftlich anerkannten Lebensweg ein terroristischer Akt?

Regisseurin Bettina Glaus möchte mit ihrer Theaterproduktion auf verschiedene Familienmodelle resp. auf verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit den Ungerechtigkeiten unseres Systems aufmerksam machen. In jedem der drei Szenarien geht Nora fort, um ihr Leben selber zu gestalten.
 
Wie wollen wir leben? Was wünschen wir uns für unsere Töchter? Beim anschliessenden Apéro unterhalten wir uns über die Rentenaltererhöhung für Frauen, über Löhne, unsere Biographien und wohin das alles führen wird.



von Eva Gallati, Kulturbloggerin

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

08.03.2023

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www.glarneragenda.ch/JwiDQG