Glarus-Nord
Glarus-Nord
Cover Kulturjahrbuch
Cover Kulturjahrbuch

Glarus

Lesenswert: Das Kulturjahrbuch der Gemeinde Glarus Nord

Das Jahrbuch 2022 überrascht mit einem vielfältigen Themenmix. Schwerpunktthema ist "Jung sein" - so werden in der Broschüre auch junge Menschen aus Glarus Nord porträtiert, neben Interviews mit bekannten Persönlichkeiten. Darüber hinaus bietet das Buch einen interessanten Überblick zum kulturellen Geschehen in der Gemeinde Glarus Nord 2022.

Mit dem Kulturleitbild der Gemeinde Glarus Nord definiert der Gemeinderat, wie die Kulturförderung – oder die Förderung der Kulturen – erfolgen soll. „Vielmehr bestehen zahlreiche Kulturen, von denen jede die besondere Beziehung einer Gruppe von Menschen zur Gesellschaft widerspiegelt. Glarus-Nord weist einen hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen in der Wohnbevölkerung auf", wie Gemeinderat Fritz Staub im Vorwort schreibt. 

Die Broschüre soll ein kurzweiliges Lesevergnügen bieten und da und dort neue Erkenntnisse vermitteln. Es ist ein Interview mit dem bekannten Jugendpsychologen, Dr. Alain Guggenbühl, oder ein Gespräch mit dem bekannten Kabarettisten Beat Schlatter zu erwähnen. Alain Guggenbühl verweist auf jede Jugend, die das Recht hat für die Gesellschaft andere Akzente zu setzen, um sich so von der übrigen Welt der Erwachsenen abzugrenzen. Er spricht über die Jugend auf dem Land und in der Stadt oder  zu seinen Gedanken über den Umgang Jugendlicher mit den modernen Medien.

Stadt- und Landjugend

„Grundsätzlich glaube ich nicht, dass die Stadtjugend offener ist als die Landjugend. Die Stadtzürcher Jugend gibt sich selbst das Image, sie sei offen für neue Kontakte und Orte. Aber wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass sie sich an den gleichen Orten mit den gleichen Leuten trifft. Ihr Kontakthorizont und Ausgangsradius sind eingeschränkt. Die Jugendlichen leben in sozialen Blasen, haben jedoch selbst den Eindruck, eine Vielfalt von Kontakten zu pflegen… Auf dem Land sind die sozialen Kontakte der Jugendlichen nach meinem Eindruck gemischter, weil man sich in seinem eigenen Kreis weniger verstecken kann. Es kommt auch zu einer verstärkten Durchmischung der Generation, vielleicht auch wegen der Vereine."

Jugend und soziale Medien

„Bei der Dominanz der sozialen Medien gibt es wohl kaum Unterschiede zwischen der Stadt- und Landjugend. Ich sehe diese Dominanz problematisch. Das Kontaktbedürfnis wird zum Teil über das Internet abgedeckt. Man redet sich ein, man sei dabei,  habe viele Freunde und realisiert nicht, dass es sich um virtuelle Kontakte handelt. Die Digitalisierung ermöglicht es Jugendlichen auch, sich im öffentlichen Raum zu bewegen und gleichzeitig abzuschotten. Sie sind in der eigenen Welt gefangen und vernachlässigen den direkten persönlichen Austausch….Die Kontakte über Instagram oder Facebook haben doch etwas Surreales an sich. Ausserdem wird man angreifbarer, negative Feedbacks und Kommentare sind wahrscheinlicher…Es gibt Lebensbereiche, in denen man offline ist. Eltern müssen ihre Kinder  ermuntern das Handy während des Nachtessens abzuschalten, aus ihrer selbstgenerierten Blase herauszutreten und sich um die Menschen um sie herum zu kümmern. …Sofort online zu gehen ist zum Teil eine Sucht geworden. WLAN-freie Zonen, wie im Jugendtreff von Glarus-Nord sind vorbildlich. Die Gesellschaft sollte solche Freiräume einrichten, denn die Jugendlichen wären alleine damit überfordert“.

Lehrabbrüche und Jugend 

„Es stimmt, dass die Lehrabbrüche zunehmen. Trotzdem finde ich unser Berufsbildungssystem in der Schweiz genial, gerade im Vergleich mit vielen anderen europäischen Ländern. Doch dieses System muss in den Händen  der erfahrenen Berufsleute bleiben und darf nicht im Namen der sogenannten Professionalisierung überakademisiert werden. Berufsleute sind viel eher auf die Praxis des jeweiligen Berufes ausgerichtet. Die grosse Gefahr bei den akademisch ausgerichteten Ausbildnern ist, dass sie den jeweiligen akademischen Trends folgen und die Realität aus den Augen verlieren“.

Diese Aussagen werden durch viele Statistiken bestätigt. Interessant wäre gewesen eine repräsentative Umfrage zu Jugendfragen durchzuführen, vor allem, weil in Glarus-Nord viele junge Menschen wohnen.

Der Kabarettist, Schauspieler oder Entertainer Beat Schlatter berichtet in seinen Ausführungen von seinen Jugenderlebnissen. Er ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und berichtet in der Broschüre über seine vielfältigen Jugenderfahrungen und seine Erlebnisse in der Schule. „Ich war ein hoffnungsloser Fall. So hoffnungslos, dass der Lehrer mir nicht mehr zum Wiederholen riet. Wenn wir richtig grossen Seich gemacht hatten, schickte der Lehrer uns, also mich und zwei Schulkollegen, die ebenfalls als hoffnungslos galten, in den Singsaal. Damit wir nicht am Unterricht teilnehmen mussten, gab er uns drei Monate Zeit, in dem grossen Saal eine Theaterproduktion auf die Beine zu stellen,  zu der er dann alle Eltern, Lehrer, Schüler und die Schulpflege einladen würde. Statt den Pythagoras und den goldenen Schnitt zu büffeln schrieben wir eine eigene Theaterkomödie und studierten diese ein. Wir brachten damit das ganze Dorf zum Lachen“. Der heute 60-ig jährige Beat Schlatter schildert einige, weitere und nicht weniger „komische Erlebnisse“ aus seiner Jugendzeit. Die Frage sei gestattet, ob 2022 eine ähnliche Schulsituation möglich wäre, notabene mit einem erfreulichen Ausgang. Wahrscheinlich eher nicht! Dass aus dieser „exotischen Haltung“ einer der beliebtesten und erfolgreichsten  Schauspieler wurde, kann aus heutiger Sicht sehr bezweifelt werden. Beat Schlatter hat die Begabung aus negativen Erfahrungen etwas Neues und Unerwartetes zu kreieren, Filme und Theaterstücke machen kann. Sicherlich ein Ansporn für die heutige Jugend, etwas zu tun, was nicht der Norm entspricht. Tote Fische schwimmen mit dem Strom, die lebendigen Fische gehen an die Quelle. Diese alte Weisheit ist leider häufig mit sozialer Ablehnung verbunden, welcher nicht viele Jugendliche standhalten können. Die heutige Jugend ist zu einer Download-Gesellschaft geworden. Alles ist sofort verfügbar und sollte möglichst nichts kosten. Mit dieser Haltung werden kreative Beiträge für das gesellschaftliche Miteinander verhindert. Wichtig, im speziellen für Jugendliche ist, dass Bedürfnisse aufgeschoben werden können. Heute spricht man von Resilienz.  Die Zeiten haben sich eben geändert. Was vor rund 50-ig Jahren noch möglich war, ist heute meist unmöglich. Und doch, in Glarus-Nord gibt es trotz vielen Anpassungsleistungen, Junge, die durch besondere Leistungen auf sich aufmerksam machen.

Die Gemeinde Glarus Nord bietet mit der Fachstelle „Jugend Glarus Nord“ Möglichkeiten für eine offene Jugendszene. Es gibt drei Jugendtreffs wie „Blaue Baracke, Bunker und A3“, die alle ein gemeinsames Ziel verfolgen. Es geht um die Förderung der Jugend mit ihrer Kultur. Den Jugendlichen werden geschützte Räume zur  Verfügung gestellt, in welchen sie experimentieren, sich neu erfinden und den Umgang mit sozialen Kontakten – ohne Handy – einüben können. Jugendliche haben ein Bistroteam aufgebaut um sich für  das leibliche Wohl der anderen jugendlichen Gäste zu kümmern. Seit 2022 steht auch ein Studio für die Erarbeitung von Musikaufnahmen zur Verfügung, das von jungen Musikern:innen genutzt wird. In den letzten zehn Jahren ist aus den gezielten Impulsen da und dort eine Pflanze entstanden, die ohne diese Unterstützung wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Es sind Autoren auf Buchlesungen herangewachsen, Musiker spielen auf Openairbühnen, Sportler sind in Nationalmannschaften aufgestiegen oder Politiker sind als Volksvertreter in Ämter gewählt worden.

Aus einer Auswahl von Jugendlichen stehen Namen, die im Kulturbuch erwähnt sind. Die Jugendarbeit trägt dazu bei, dass Glarner:innen ihre Geschichten in die „Welt“ tragen können. Seit 2022 gibt es in Mollis ein Musikstudio. Bands, Solokünstler:innen, alle sind willkommen. Auch jene, die noch keine Erfahrungen mit Studios haben. Ein Beispiel ist das Team Sven Keller und Marcos aka Boybumbà.  Das Duo arbeitet an ihrer Musik in der Hoffnung, dass ihre Arbeiten in einem grösseren Publikum bekannt gemacht werden kann. Kilian Bösch will Skirennfahrer werden. Das Training ist sehr intensiv. Dieses beginnt bereits im Frühherbst als Gletschertraining. Während der Sommermonate wird an der Kondition gearbeitet. Wöchentlich verbringt Kilian Wenger 15 Stunden im Training, in der Sportschule und im Sportzentrum Kerenzerberg. „Ich muss immer gut auf meinen Körper hören und Pausen machen, dass ich meine Ziele, Schule, Sport und Kondition miteinander in Einklang bringe und die Freude an dem schönen Sport noch lange bleibt“. Bernadette Epprecht ist eine talentierte, junge physikbegeisterte  Frau. Sie hat mit ihrem Können überzeugt und als Kantonsschülerin schon an der Olympiade teilgenommen. Physik, Mathematik und Chemie sind ihre Stärken. Als junge Frau gehört sie hierzulande leider zu den Ausnahmen. Die MINT-Absolventinnen liegen in der Schweiz, im Vergleich mit dem europäischen Umfeld, immer noch auf einem sehr bescheidenen Niveau. Erfreulich ist auch, dass die Schülerin Musik aus Leidenschaft betreibt. „Ich spiele Klavier und mache in einer Band mit. Das gibt mir einen guten Ausgleich zu den Schwerpunktfächern“. Weitere, interessante Informationen zu den erwähnten Personen findet man in der Broschüre „Kultur 2022“.

Abgerundet wird das Kulturbuch mit einer Fotoreportage von David Feldmann. Man kann zur Kenntnis nehmen, wie vielfältig die Kulturanlässe in Glarus-Nord sind. In der Broschüre werden noch weitere Themen angesprochen, die hier kurz erwähnt sind:  Vorstellung von Blue-Box, Dorfportrait Filzbach, Gemeindearbeiter:innen, Skatepark Näfels, Jugendmusik „Young Winds“ oder Vorstellung der Kulturpreisträger 2022. Eine Broschüre, die – wie eingangs erwähnt – zum Lesen einlädt. Die  Leserschaft kann sich über eine Vielfältige Szene erfreuen.

Eduard Hauser

Das Buch kann bei der Gemeindeverwaltung in Niederurnen gratis bezogen werden

 

Autor

Kulturblogger Glarus

Kontakt

Hauser Eduard
Blogger
Biäschenstrasse 10
8872 Weesen
hauser.eduard@gmail.com
0793758199

Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

02.01.2023

Webcode

www.glarneragenda.ch/7SLvRk