


Glarus
Landsgemeinde 2023 – ein Wetterbericht
Genau in dem Moment, als die meisten von uns, die in Ennenda und Glarus wohnen, ihre Häuser verlassen, um zu Fuss zum Landsgemeindeplatz zu gelangen, wird der Himmel dunkel. Es tröpfelt erst, dann regnet es. Schirme werden aufgespannt, Kapuzen über Köpfe gestülpt. Man stellt sich an den Strassenrand und wartet auf den Einzug der Regierung die kurz bevorsteht, von weitem sind die Klänge der Harmoniemusik zu hören. Und dann ist es wieder einmal soweit. Die Landsgemeinde beginnt.
von Eva Gallati, Kulturbloggerin
Man schaut mit kritischem Blick hinunter auf die eigenen Füsse und auch auf die Füsse der Leute, die dicht an dicht neben, vor und hinter einem stehen – genau genommen auf das Schuhwerk, das wir uns heute entschlossen haben zu tragen, zur Feier des Tages. Wird es dem Wetter standhalten? Als die Musik einzieht, gefolgt von Ehrengästen, Regierung, Militär und so weiter, giesst es bereits in Strömen. Die Musikanten haben zwar Schutzhüllen für ihre Instrumente dabei, sind aber selber schutzlos dem Wetter ausgeliefert. Tapfer marschieren sie im Takt. Die zweite unbeschirmte Gruppe ist besser ausgerüstet und sogar bewaffnet, trägt Kampfanzug und Helm. Dazwischen schreiten und stöckeln die mit Schirmen bewehrten, schön angezogenen Würdenträger:innen.
Im Publikum am Rande wird kommentiert, es fallen die Namen und Funktionen der Menschen im Umzug, ich kann mir nichts merken. Einzelne von ihnen kenne ich natürlich auch, aber ich sage es niemandem. Bin ohne Begleitung hier, resp. meine Begleitung hat sich unter einen Dachvorsprung verzogen. Als aber eine rosarot gekleidete, von besonders vielen Beschützern umringte, ältere, sehr charmant lächelnde Dame vorbeispaziert, die ihren Schirm nicht selber halten muss, mache ich meine Ellbogen breit und fotografiere sie. Das muss Frau Bundesrätin Elisabeth Baume Schneider sein! Wow! Ich glaube fast, es gefällt ihr hier bei uns im Glarnerland, trotz des Wetters!
Es wird eng hinter mir, die Neuankömmlinge versuchen ein wenig, sich vorzudrängen. Gelinde gesagt. Denn es wird durchaus gefaucht und zurecht gewiesen. Jemand mahnt jemand anderes zur Vorsicht, die Metallspitzen ihres Schirmes könnten sonst den Lack des nah am Strassenrand geparkten SUV’s beschädigen. „Ist mir egal, das ist ein Zürcher, der gehört sowieso nicht da hin!“ lautet die muntere Entgegnung der Dame. Ich bin ein kleines bisschen schockiert.
Es herrscht allgemein gute Laune, nach dem Motto: „von dem bisschen Regen lassen wir uns doch nicht den Tag vermiesen!“ Ich kehre also grad zuerst noch im Glarnerstübli ein, wo mir zum Glück meine Begleitung einen Stuhl frei gehalten hat, den allerletzten. Es ist sehr warm im Glarnerstübli! Auch ein bisschen rauchig, eng und laut. Gelächter, Gläsergeklirr, Prosten. Alle duzen sich heute, alle wollen es gut haben zusammen. Wir feiern unsere Form der Demokratie. Wie wunderbar ist das doch!
Im Ring wird gemindert und gemehrt, es regnet noch immer. Wie jedes Jahr begeben sich auch einige Redner mit Verbesserungsvorschlägen auf die Bühne, ohne einen konkreten Abänderungsantrag zu einem Traktandum zu formulieren. Mich dünkt, gegenüber früheren Jahren bekommen sie weniger Redezeit, der Landammann klemmt relativ zügig ihre unkonventionellen Ideen ab. Eigentlich schade, dass diese auf den ersten Blick abwegig scheinenden Lösungsvorschläge für aktuelle Probleme nicht die Formvorschriften erfüllen, so dass sie vertieft diskutiert werden könnten. Chancenlos sind sie nämlich keineswegs, wie die Vergangenheit beweist.
Wir Glarner:innen sind allerdings ein bisschen allergisch auf besserwisserische Wortmeldungen, die in einem nicht einheimischen Dialekt vorgetragen werden - obwohl wir den Neu-Glarner:innen so viel verdanken: sie haben uns frischen Wind, Optimismus, Mut zum Risiko und neue kulturelle Errungenschaften gebracht - ja, die Weltoffenheit besitzen wir durchaus selbst. Rufen, Klatschen, Pfeifen oder Kommentare aus dem Ring sind verboten, der Landammann erinnert zu Beginn der Versammlung daran. Höchstens ein leises Raunen geht manchmal durch die Menge, die sonst sehr diszipliniert und respektvoll bleibt. Dazu gehören und mitbestimmen ist uns noch immer wichtig, darum halten wir uns gerne an die Regeln. Wir wollen die Landsgemeinde und auch die Gemeindeversammlungen beibehalten, um direkt mitreden zu können.
Das traditionelle Landsgemeinde-Essen, die Glarner Kalberwurst, verweilt geduldig kurz vor dem Siedepunkt in ihrer Sauce, der Kartoffelstock ist bereit und die Dörrzwetschgen in Rotwein. Alle freuen sich auf das feine Mittagessen, das in zahlreichen Restaurants angeboten wird.
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Kulturblogger Glarus
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