Glarus
«Krise in der Kultur» und «Kultur in der Krise»
Die aktuelle Pandemie hinterlässt auch in der Kulturszene ihre Spuren. Die Frage drängt sich auf: Gibt es eine "Krise in der Kultur" oder eine "Kultur in der Krise?"
Kultur meint alles, was der Mensch über seine Fähigkeit zu Gestalten hervorbringt. Die bekanntesten Formen sind Theater, Tanz, Musik und Kunst.
Jetzt steht aber alles still, eine gespenstische Stille ist eingekehrt. Die Kulturveranstaltungen verlagern sich auf das Internet. Zeitlich befristet sicher ein Ersatz, doch die Wirkung kultureller Prozesse und Produkte kann so nicht ausgeglichen werden. Mir kommt das berühmte Gedicht in den Sinn…
„Über allen Gipfeln ist Ruh
In allen Wipfeln spürest Du kaum einen Hauch
Die Vögelein schweigen im Walde
Warte, bald ruhest Du auch“
J. W. von Goethe
Theatersäle sind leer und wirken durch ihre räumlichen Dimensionen. Erinnerungen an Aufführungen werden wach und lösen Gefühle aus. Gesang und Tanzdarbietungen erscheinen vor dem geistigen Auge. Die Sehnsucht nach dem Erleben eindrücklicher Momente hallt nach. Museen sind leer. Die gehängten Kunstwerke warten auf ihre Besucher. Die Stille unterstützt die persönliche Einkehr und Identifikation mit den dargestellten Symbolismen. Sie wecken Erinnerungen an Ereignisse aus der Vergangenheit oder stärken die Hoffnung, dass es über visionäre Wahrnehmungen in der Zukunft wieder besser, aber auch anders, sein wird.
Die sinnliche Wahrnehmung ist auf das Sehen oder Hören eingeschränkt. Die Musik löst Emotionen aus, bei Live-Events ausgeprägt, weil die kollektive Masse der Zuhörenden verbindende Erlebnisse auslösen kann, die bis zur Ekstase führen und den Geist ausschalten. Im virtuellen Raum fehlen diese Massenerlebnisse, welche ein kollektives Bewusstsein auslösen und die Funktionen des Reflektierens auslöschen.
Die Flucht in die virtuelle Welt wird von Galerien und Kunstverlagen genutzt, Werke auf der eigenen Website zu zeigen und zu verkaufen. Die Annahme ist, dass Kunst und Kultur Energie und Ideen liefern können. In der lauten Szene ist es ruhig geworden. Das persönliche sich zur Schau stellen ist abgesagt. Die Marketingmaschinen sind leise geworden.
Der Bund hat für die Kulturschaffenden CHF 280 Mio Unterstützung angesagt. Das ist erfreulich. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Verteilung der Gelder transparent und nach klaren, nachvollziehbaren Kriterien geschieht. Bei Preisverleihungen haben diese Prozesse nur ungenügend funktioniert. Also eine Chance für eine Verbesserung der bisherigen Verteilmechanismen. Das Leben in der geschützten Werkstatt ist einfacher als selbst auf die Jagd zu gehen. Bisherige Erfahrungen machen Appetit, weil in der Schweiz eine hohe Dichte Museen und andere Kulturhäuser mit grosszügig dotierten Preisen und Stipendien für attraktive Auslandaufenthalte gelockt haben.
Der Prozess wird unterstützt durch die grosse Anzahl Kunsthochschulabsolventen, die jährlich auf den Markt kommen und im ersten Jahr, nach dem Abschluss, eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit aufweisen. Doch glauben wir an Friedrich Hölderlin, der gesagt haben soll: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Der Selbstbehauptungswille der zum Teil verwöhnten Kulturschaffenden ist gefragt, eine konstruktive Form des Egoismus. In der Schweiz bei Streaming-Programmen leider noch nicht so stark in Erscheinung getreten. Die Gefahr besteht tatsächlich, dass es nach der Krise eine grosse Zahl Institutionen und Kunstschaffende nicht mehr gibt; auf Kosten der kulturellen Vielfalt. Ein totes Pferd kann aber niemand reiten. Die Aktivität heisst in diesem Fall „steig ab“. Die Kultur ist nicht tot, hoch lebe sie.
„Kultur in der Krise“ …. am Beispiel Kunst
Am Beispiel der bildenden Kunst, die eine breite Vielfalt von Darstellungsformen wie Malerei, Zeichnen, Skulpturen, Fotografie, Video, Performance etc. aufweist, wird aus persönlicher Sicht dargestellt, was „an mehr“ wünschbar sein könnte und was „an weniger“ der Kultur gut tun könnte.
Mehr Lebendigkeit, statt Blutleere in den Ausdrucksformen. Visionäre Entwürfe einer Gesellschaft, statt den Blick in den Rückspiegel. Zukunft hat allerdings Herkunft. Die aktuelle Gegenwart wird bei verarbeiteter Vergangenheit kritischer gesehen. Die Ernsthaftigkeit würde eine grössere Bedeutung erfahren. Mehr Schöpfung statt Kalkül würde zu kreativeren Sichtweisen führen. Die beobachtbare Orientierung an der Wissenschaft könnte mit Herzblut ersetzt werden. Die Verstärkung der Eigenständigkeit – es gibt zu viel des Gleichen – verstärkt die Authentizität. Selbstkritik ersetzt die beobachtbare Arroganz, die nicht zuletzt in Texten zum Ausdruck kommen, die am Publikum vorbei zielen und kaum verständlich sind.
Ist es wirklich Kunst, wenn der Protagonist bei seiner Werkvorführung über eine knisternde Plastikfolie schreitet und dies als Performance deklariert? Die Kunstkarawane applaudiert fröhlich, weil es sich um einen bekannten Künstler handelt. Ist es Kunst, wenn der Künstler als Affe verkleidet um seine Werke herumhoppst und so die Evolution beschwört? Oder: sind Texte nachvollziehbar wie „Massstäblichkeiten formen das Begehren des Raums und verweisen von Erscheinungsbild zu Realpräsenz und zu Fragen der Identität? “.
Von „weniger“ würde die Kunst profitieren. Weniger Show und Mediengeilheit auf die eigene Person bezogen, könnten die Kunstprodukte der Bevölkerung näher bringen. Weniger „Fakenews“, Lügen und Lüsternheit auf “Likes“. Das Gesetz gilt „je mehr Likes, desto mehr Falschinformation“. Damit verbunden ist die Marktausrichtung, die von Galerien, Messen und Museen intensiv gefördert wird. Schon junge Kunstschaffende erzielen hohe Preise für ihr Werk, obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts geleistet haben. Der Materialismus und Wohlstand, verbunden mit Saturiertheit, Sattheit und Verwöhnung könnte ein Ende finden und den Weg zur Authentizität ebnen. Mit dem Prestigegewinn durch den Besitz von Kunst sind wir bei der Ersatzreligion in Form von Kunst angelangt.
Leidenschaft schafft möglicherweise die Ausrichtung auf neue Horizonte.
Eduard Hauser
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