Helga ist empört / Foto: Swantje Kammerecker
Helga ist empört / Foto: Swantje Kammerecker
ein Tape / Foto: unsplash
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blöde Blumen / Foto: unsplash
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Glarus, Zürich

Helga und der Misthaufen

Die bekannte Kabarettistin aus Zürich mit den prominenten Namensvetter:innen machte Halt in Glarus mit ihrem Programm „Miststück“. In der fast ausverkauften Aula der Kantonsschule heizte sie ihrem Publikum ein und hinterliess Irritation, Gelächter und (k)einen Kater.

Von Eva Gallati

 

Laute Discomusik, Lichtshow, Trockeneis-Nebel, Spot auf die Bühne: Der eiförmige Sessel, ein Design-Relikt aus den 70er-Jahren, dreht sich aufreizend langsam. Breit lächelnd sitzt mit übereinander geschlagenen Beinen Helga Schneider darin und geniesst den Applaus. Meine Augen suchen die weisse Perserkatze auf ihrem Schoss. Wo ist sie hin? Was ich sehe, erinnert mich an die Szenen in alten Bond-Filmen, wo M kurz den Tarif durchgibt.
 
Helga Schneider tritt wie immer in ihrem feuerroten Hosenanzug auf, die Schuhe hochhackig, passend zum zackigen Schritt, ein Sektglas in der Hand. Fehlt nur noch die Zigarette. Ihre Frisur will keine echten Haare vormachen, sie ist ganz klar Perücke. Vor 50 Jahren sahen unsere Mütter direkt nach dem Coiffeurbesuch so aus, nur mit ihren eigenen Haaren, einfach viel biederer!
 
Sie aber ist die Tante, die wir damals alle hatten, anders, schick, weltgewandt und ein bisschen naja… - vulgär schon fast. Wir dichteten ihr Geheimnisse an, einer geschiedenen Städterin mit Bürojob, die sich nicht unterkriegen liess von den Herausforderungen des Lebens. Irgendwie dockt Helga Schneider an ein Vorbild aus unserer adoleszenten Zeit an, als wir noch brav Mutters Suppe assen und Vaters Schimpftiraden erduldeten, schon in der Hoffnung auf bessere Zeiten, auswärts, in Zürich vielleicht. Dies macht sie uns sympathisch. Wir möchten hören, was sie uns zu sagen hat, so lange war sie doch schon die Verheissung in Persona, kam sie für uns in Frage als Identifikationsfigur.
 
Tahiti mit Monoï
 
Die Pandemie hat Tante Helga jedenfalls überhaupt nichts anhaben können, sie reiste kurzerhand auf die Malediven, wo sie drei Monate lang blau sah – auf ihrem Liegestuhl trank sie viele Cüpli und blickte dabei auf das Meer – bis es ihr verleidete. Es folgten daher weitere Reisedestinationen: der kühle Norden war gut gegen die Wallungen, auf dem Jakobsweg war sie die Coolste mit der Champagnerflasche im T-Shirt auf dem Rücken und überholte alle auf ihrem E-Bike.
 
Helga Schneider hat ein ansteckendes Lachen (bei dem ich mich manchmal fragte, ob es aus dem Off eingeblendet wurde), und sie kann gut Dialekte nachahmen. Zuweilen wirkte ihre Stimme etwas kurzatmig, ich schrieb dies ihrem Trinken zu. Sie nahm oft einen Schluck aus dem langstieligen Glas, schenkte sich nach bis nichts mehr in der Sektflasche war und sie im Keller Ersatz holen musste, schon leicht schwankend. Wie sie sagte, hatte sie schon vor der Vorstellung mit „gügelen“ begonnen, als Herr Ganz mit der Bühneneinrichtung zugange war.
 
Überhaupt Herr Ganz. Die Beziehung zu ihm scheint ein wenig über das Geschäftliche hinaus zu gehen. Sie machen Schlittelausflüge und feiern zusammen Weihnachten, ausserdem fährt er sie nach der Vorstellung in ihrem SUV nach Hause, seit sie selber nicht mehr fahren darf (was die Abkürzung SUV bedeutet, hat er ihr kürzlich erklärt, es hat etwas mit viel Trinken und davon dick werden zu tun).
 


Bei ihrem ersten Song, der dem Programm seinen Titel gab, wurde enthusiastisch mitgeklatscht. Helga Schneider merkte später an anderer Stelle an „Sie sind heute Abend mein ganz persönlicher Misthaufen, andere gehen zum Psychiater, aber ich verdiene Geld damit, dass ich einfach allen Scheiss bei Ihnen ablade“.
 
Da ist es, das Klischee der überforderten, aber sich selber als absolut kompetent betrachtenden alternden Frau, die gerne permanent ein volles Glas vor sich hat, und sich eigentlich mehr Ordnung und Orientierung im Leben wünscht. Sie schaut relativ verständnislos auf die veränderte Welt, ihr Humor verachtet sich selbst und alle anderen, die noch hilflos nach Erklärungen suchen.

 

Und das soll alles lustig sein?
 
Helga Schneider liess sich über allerlei Themen aus, bei denen so genannte woke Menschen hellhörig werden: Fleischkonsum, China und seine Einwohner:innen, Genderfragen, Jugendkultur, Religion, Feminismus. Leider waren es keine intelligenten Überlegungen, die Helga Schneider äusserte, sondern der bereits schon längst überholte unreflektierte Mainstream, Abteilung "Humor", den wir alle selber auswendig hersagen könnten, wenn wir uns nicht dafür schämen würden. Sogar die Parodie auf den jungen technischen Angestellten der Kantonsschule, den sie als „Sebastian, den Spasti aus Spreitenbach“ bezeichnete, war mehr als vorgestrig – so sprachen manche Jungs in der Primarschule vor über zwanzig Jahren. Das weiss ich, weil ich es damals „noch witzig“, aber auch ein bisschen beängstigend fand. Denn es waren nicht nur die in den 90ern eingewanderten Kinder aus dem vom Krieg gebeutelten Ex-Jugoslawien, die so sprachen, sondern auch manche ihrer Schweizer Schulkameraden.
 
Das Publikum hängt an Frau Schneiders Lippen, gespannt auf den nächsten Kracher. Schlag auf Schlag kommen sie, einschlagende Bomben des Sauglattismus, von den Zuschauer:innen mit Gebrüll, Stampfen und Klatschen quittiert.
 
Zwischendurch Pause, Getränke, kurze Gespräche.
 
Es gab auch zwei, drei Mal Gelegenheit zum Schmunzeln für mich, bespielsweise als Helga Schneider von ihrer Musikkassetten-Sammlung erzählte. Ich habe ja auch noch „Tapes“ zuhause, ganze Schubladen voll. Wie sehr hat sich das geändert! Da sind viele Gemeinsamkeiten bei dem altersmässig ziemlich homogenen Publikum. 
 
Sie hat die Masse voll im Griff
 
Dachte ich, und: vielleicht kommt ja noch etwas, was ihnen das Gelächter im Halse stecken bleiben lässt. Etwas Menschliches, Kritisches, was uns einen Spiegel vorhält und uns hinweist auf unsere eigene Engstirnigkeit, unser gedankenloses Dahersagen und -tun, "denn diese Welt ist ja nun eine zerbrochene und zerbrechliche, eine wo unwissentlich und wissentlich Menschen ständig einander verletzen und ihr Umfeld natürlich auch.“ (Zitat Swantje Kammerecker). Gestalten wir doch unser Zusammenleben besser, freundlicher, respektvoller, Herrgottnochmal! Solche Darbietungen gehen klar in die entgegengesetzte Richtung.
 
Das zum Ausklang angekündigte „hoch politische Lied“ liess mich aber tatsächlich weiter hoffen, es stellte sich dann aber als Gassenhauer heraus mit dem Refrain „der Song isch än Müll“, der übrige Text lautete „rämdämdämdäm“.
 
Und noch nicht genug: als Dank für den frenetischen Applaus (beinahe hätte es Standing Ovations gegeben!) ertönte Marschmusik: der Sechseläuten-Marsch. Alle klatschten mit und Helga Schneider verlless die Bühne endgültig.
 


Wieviel weiss Tante Helga wirklich…?
 
Auch in Solothurn wird jedes Jahr ein Böögg verbrannt, aber direkt nach der Fastnacht. 2023 standen statt einer deren vier Figuren auf dem Scheiterhaufen, stereotypisierte Abbilder verschiedener Ethnien, darunter gross das Wort "Multikulti".
 
Ich werde mich jedenfalls weiterhin an Helge Schneider, den brillanten Musiker und phantasievoll improvisierenden Bühnendarsteller halten. Gerne höre ich seine Musik zum Nähen. Ich, lache, ganz alleine. 
 
Es gibt übrigens auch eine bereits 1937 geborene Helga Schneider, Schriftstellerin, deren Mutter eine Kriegsverbrecherin und NS-Nostalgikerin war. Vielleicht liesse sich daraus eine Pointe basteln?
 
 
In der Sektflasche war übrigens Rimuss. Aber ändert das jetzt noch irgendetwas?

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus
  • Zürich

Publiziert am

24.03.2023

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