Wortreich von aussen / Foto zVg
Wortreich von aussen / Foto zVg
Eingang ins Wortreich / Foto zVg
Eingang ins Wortreich / Foto zVg
Meret Strübin und Christa Pellicciotta / Foto zVg
Meret Strübin und Christa Pellicciotta / Foto zVg
Barbetrieb / Foto zVg
Barbetrieb / Foto zVg

Glarus

Ein Ort, reich an Worten

Als ich Mitte 2010 in den Kanton Glarus zurückkehrte, hungerte und dürstete es mich nach Worten, nach Geschichten und nach Wahrheit. Das grosse Schild mit der Aufschrift „Wortreich“ sprang mir deshalb sofort ins Auge. Es war wie ein Versprechen.

Ich fand eine (für mich) neue Buchhandlung in der Abläsch in Glarus, in einem scheunenähnlichen Holzhaus mit vielen Fenstern, etwas abgelegen von der „Stadt“, aber (damals noch) mit eigenem Fussgängerstreifen.
Christa Pellicciotta übernahm die Buchhandlung, die damals schon  „Wortreich“ hiess, 2008 zusammen mit ihrer Tochter Janis. Vorher hatte Jonn Häberli während etwa zwei Jahren das Antiquariat und die Buchhandlung unter gleichem Namen in einem kleinen Ladenlokal am Kirchweg in Glarus geführt. Er fand es an der Zeit, in Pension zu gehen. Janis Pellicciotta hatte gerade ihre Ausbildung zur Buchhändlerin abgeschlossen, ihre Mutter wagte den Schritt als Quereinsteigern in die Selbständigkeit. Nach kurzer Zeit schrieb der Laden schon schwarze Zahlen. Ehemann und Vater Gabriele arbeitet ausser Haus als Informatiker und sorgt für den technischen Support, hilft an Kulturanlässen mit und geniesst das Eingebundensein in den lebhaften Betrieb.
 

"Auch eine normale Buchhandlung"

Christa Pellicciotta betont, es gehe in dem breiten Angebot immer wieder etwas vergessen, dass Wortreich auch eine ganz normale Buchhandlung ist. Allerdings eine, die ohne Spielsachen, Bastelbedarf und Papeterie-Ecke auskommt. Etwa ein Viertel der Ladenfläche gehört den aktuellen Büchern, das Angebot ist ähnlich wie in jeder anderen Buchhandlung auch. Sehr hilfreich sind die Buchtipps der Teammitglieder von Wortreich, die als Buchzeichen manche der Neuerscheinungen zieren. Es ist jedes Mal ein süsser Schock, wenn ich ein neues Buch eines meiner Lieblingsschriftsteller entdecke, das ich dann natürlich sofort kaufen „muss“. Andere bestelle ich, und ich muss nie lange warten: innerhalb eines Tages kann das Bestellte im Laden abgeholt werden. Das ist schneller als eine Bestellung online (und wenigen bewusst!). Einmal wöchentlich werden bestellte Bücher gratis (innerhalb des Kantons) ausgeliefert.

 


Ordnung im Antiquariat

In den letzten Jahren hat sich das Antiquariat ziemlich stark verändert: wo vorher die alten Schinken in zwei Reihen hinter einander standen und sich Bücherkisten am Boden stapelten, herrscht nun Ordnung und Übersicht. Angeboten wird eine breite Auswahl an Büchern, oft auch Neuerscheinungen, die einmal gelesen den Weg zurück in den Laden finden, wo sie zu einem günstigen Preis erworben werden können. Was man heute nicht mehr findet sind die dicken Bücher, die in den Büchergestellen unserer Eltern standen, von Autoren wie Heinz G. Konsalik, Leon Uris oder Alexander Solschenizyn - alles Schriftsteller, die um 1920 geboren wurden und ihre Kriegserlebnisse beschrieben. Diese Literaturgattung ist heute etwas in Vergessenheit geraten, obwohl die Welt nicht besser geworden ist – die realistische Darstellung schrecklicher Erlebnisse findet heute nur in anderer Form statt. Klassiker gibt es freilich noch immer, nach Ländern und Sprachen aufgeteilt, aber auch Krimis, Belletristik, Kochbücher, Kunstbände und Kinderbücher. Die Auswahl ist riesig, das Stöbern macht Spass, Entdeckungen sind garantiert! Wortreich ist zudem spezialisiert auf das Finden vergriffener antiquarischer Bücher.


Erinnerungen an die erste Lektüre
Obwohl die „Schinken“ mittlerweile fehlen, erinnere ich mich unwillkürlich an unser Bücherregal zuhause in der Stube, das meinen Werdegang als Leserin eingeläutet und geprägt hat – bis heute. Meine erste Lektüre waren die gesammelten Märchen der Gebrüder Grimm in einer gebundenen Ausgabe von Manesse, zwei kleine, in dunkelgrünes Leder gebundene Bände mit hauchfeinen Seiten. Bis auf die Märchen in plattdeutscher Sprache habe ich sie alle mehrfach gelesen. Noch heute staune ich, dass mein Vater, der sonst eher ein konservativer Typ war, das Buch „1984“ von George Orwell besass. Er hatte es kurz nach seiner Erscheinung in deutscher Sprache (1949) erworben und erinnerte sich 1980 gut an den Inhalt. Er war dann Anlass für eine sehr harte Diskussion zwischen uns beiden. Ich liebte die Bücher von Kurt Tucholsky, Heinrich Böll, Jerôme D. Salinger und wie sie alle hiessen. Ephraim Kishon fand ich einigermassen witzig. Die schmalen Taschenbücher von James Thurber, Tennessee Williams, Thornton Wilder und John Steinbeck liess ich damals links liegen, bin aber heute sehr glücklich darüber, sie aus dem Nachlass gerettet zu haben. Meine späteren eigenen Entdeckungen hiessen Franz Kafka, Hermann Hesse, John Updike, Max Frisch – ja, alles Männer! Viele Jahre später erfuhr ich, dass die Liebesgeschichte zwischen meinen Eltern mit einem Büchlein von Mark Twain begonnen hatte. Es heisst „Von Adam bis Vanderbuilt“, ich las es sofort und fand die kleine Geschichte respektlos gegenüber dem weiblichen Geschlecht und gleichzeitig recht oberflächlich. Das junge Liebespaar aber lachte 1958 darüber.

Weiter ging es in meinen 20ern mit jedem Frauenbuch, das ich in die Hände bekam, und in den 80er-Jahren wurde vieles geschrieben! Svende Merian, alles aus der Rohwolt-Reihe „Neue Frau“, viele Ratgeber. Diese Bücher bestellte ich jeweils in der „anderen Buchhandlung“, die ja damals die einzige war, manchmal mit ziemlich roten Ohren, denn es ging viel um Körper, um Beziehungen, um Selbstwert, um sexuelle Orientierung, um unsere Verletzungen und unsere Kämpfe in der Männerwelt. Es war ein grosser Kontrast zu der gelegentlichen Lektüre meiner Mutter, die mich überhaupt nicht zu interessieren vermochte: Marcel Pagnol, Barbara Noack sowie diverse Bücher in Berner Mundart wie „Madame de…“, Anekdoten über eine Berner Patrizierin.

 



Besonderes Kino

Noch ganz frisch im neuen Geschäftsdomizil zeigte Wortreich schon den ersten Film, eine Produktion aus China – natürlich mit passendem Kuchen, damals schon! Der Film stammte von trigon, einer Schweizer Filmstiftung, die seit 1988 sorgfältig ausgewählte Filme aus Lateinamerika, Asien, Afrika und dem östlichen Europa im Kino herausbringt und eine eigene DVD-Edition sowie die Streaming-Plattform filmingo betreibt. Wortreich ist Mitglied des trigon Fördervereins, welcher mithilft, diese besonderen Filme sichtbar zu machen. Darüber hinaus informiert sich die Familie Pellicciotta am alljährlichen Besuch der Solothurner Filmtage über interessante Neuerscheinungen und taucht auswärts in die Filmwelt ein, während ich als Heimwehsolothurnerin ebenfalls regelmässig dort vorbeischaue. Wir pflegen uns seit Jahren alljährlich zufällig fern der Heimat in einem dunklen Kinosaal oder in der Beiz zu begegnen. Wahrscheinlich waren sie schon da, bevor ich sie in Glarus kennenlernte… Dieses Interesse für besondere Filme zeigt sich im Wortreich in einem sehr abwechslungsreichen Filmprogramm, das viele Menschen im Glarnerland begeistert und ihnen die Gelegenheit gibt, die nicht kommerziellen Produktionen in nächster Nähe zu sehen.
Der „Kinosaal“ verfügt über ca. 80 Sitzplätze, davon deren drei auf dem sehr begehrten Kanapee, und abends wird die Wertschätzung über eine Kollekte eingezogen, im Seniorenkino kostet der Eintritt 10 Franken.

 

Musik und Theater, Lesungen, Sprachcafé und mehr

Jedes Jahr zeigt Wortreich in loser Folge einige Theatervorführungen und Konzerte, die jeweils sehr gut besucht sind. Autorenlesungen, Vorträge und eine „achtsame Auszeit“ -die Auswahl an kulturellen Perlen ist gross, eine Übersicht der aktuellen Anlässe informiert über vergangene und zukünftige Anlässe.
Im Sprachcafé kann jedeR die/der will wöchentlich eine Stunde in eine Fremdsprache eintauchen, zur Auswahl stehen Französisch, Spanisch, Italienisch und Englisch. Angeleitet von Muttersprachlern wird in lockerer freundschaftlicher Atmosphäre Konversation betrieben. Viele besuchen das Sprachcafé inzwischen regelmässig.

 


Was wünscht sich Wortreich für die Zukunft?

Dazu meint Christa Pellicciotta: "Unser Geschäft läuft gut dank der Bestellungen von Bibliotheken, Firmen und Schulen, aber es wäre schön, wenn etwas mehr KundInnen in den Laden kommen würden. Wir beraten gerne, wir lassen die Besucherinnen in Ruhe stöbern, unsere einladende Sitzecke (eben das weisse Kanapee und zwei Sessel) darf zum Verweilen genutzt werden – und unser Kaffee wird sehr gerühmt!"

von Eva Gallati, Kulturbloggerin

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

01.06.2022

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