Mario Nett trifft UmKehrHerr
Mario Nett trifft UmKehrHerr
Mario Nett wird Musiker
Mario Nett wird Musiker
Was steht wohl auf dem Plakat?
Was steht wohl auf dem Plakat?
Die Fantasie spricht
Die Fantasie spricht
Einstein geige
Einstein geige
Grimaud
Grimaud
Claudia Kock Marti
Claudia Kock Marti

Glarus, Ostschweiz

Fantasie, Fantasie, wo bist du?

In der letzten Glarner Schulferienwoche findet im Güterschuppen Glarus eine Veranstaltungsreihe mit Filmen und Musik statt. Den Auftakt machte das gut besuchte Theater «Mario Nett – abgedreht: Der UmKehrHerr taucht auf» der Compagnie Bruderboot, das alle Generationen begeisterte.

Nach fast sechs Ferienwochen kann schon mal Langeweile aufkommen. Vor allem, wenn auch das Wetter nicht nach Badi ist. Perfekt also, um am Mittwochnachmittag um vier Uhr ein einstündiges Familientheaterstück anzuschauen, wo es unter anderem genau um das ging: Langeweile und Seelenfrust, verpasste Träume. Ja, es gibt ein happy End, das darf schon verraten werden: Am Ende tanzt und klatscht das ganze Auditorium mit zum Lied vom «UmKehrHerr». Ein paar Wunder sind geschehen, Lachen und Staunen haben den Raum erfüllt.


Das vom Theater Bruderboot (Beni und Christian Hunziker) geschaffene Stück «Mario Nett – abgedreht: Der UmKehrHerr taucht auf»berührt und unterhält mit Herzlichkeit und Tiefgang. Sparringspartner des geheimnisvollen, bunt gewandeten UmKehrHerrs ist der durch einen Unfall arbeitslos gewordene Schauspieler Mario Nett (welcher ohne seine Verletzung wohl dem berühmten Johnny Depp die Hauptrolle im Fluch der Karibik abgejagt hätte!). Dazu gibts die Nebenrollen eines Plakatklebers und eines Polizisten. Und die eigentliche Hauptrolle: die Fantasie!


Nachdem Mario Nett sich beklagt hat, dass er alles in seinem Leben verloren habe, entgegnet ihm der UmKehrHerr, dass ihm vor allem eines fehle: die Fantasie. Er preist sie als höchst reale Kraft, erzählt gleichnishaft von einem Mann, der immer in der Wüste lebte und Wasser nur aus Oasen kannte. Dass Wasser vom Himmel regnen könnte, kann dieser nicht glauben – da er es nie selber gesehen hat und ihm die Fantasie fehlt, sich solches vorzustellen. Das gibt Nett nun doch zu denken, und als sich die Stimme der Fantasie leise aus einem Abfallkübel inmitten eines Müllhaufens meldet und er sich zögernd auf sie einlässt, wird sie für ihn sogar plötzlich sichtbar. Das wuschelige Geschöpf, welches etwas an die Monster der Sesamstrasse erinnert, kann aber auch beleidigt schweigen, oder bitterlich heulen, und seine Wortmeldungen sind so einfach wie philosophisch, etwa: «Langeweile ist super, denn dann gibt’s Platz für mich!»


Eine auch für die Erwachsenen wichtige Lektion, und zwar in doppelter Hinsicht: Leben wir unseren Kindern nicht auch vor, wie doof bis bedrohlich Nichtstun ist? Können wir etwa dem Griff nach dem Smartphone widerstehen und die äussere Stille so lange aushalten, bis sich das «Gedankenwandern» einstellt: jener Zustand, wenn unser mit nichts beschäftigtes Gehirn in einen anderen Modus fällt und sich selbst, oft unbewusst, auf die Suche nach neuen Ideen macht? Und sind wir nicht zu schnell dabei, unseren gelangweilten und quengelnden Kleinen nonstop Spielvorschläge und Programm anzubieten, um ihnen diesen Zustand zu ersparen? Und damit leider auch die freudigen Überraschungen, selbst etwas Neues zu entdecken, manchmal gar ungeheure Talente und Kräfte! In ihrem biografischen Buch «Wolfssonate» beschreibt die Weltklasse-Pianistin Hélène Grimaud die unendliche Langeweile ihrer Kindheit als jene Quelle, aus der schliesslich kristallklar ihr Suchen und Sehnen nach der Musik entströmt, und die sie schliesslich das Klavierspiel (nebst dem es wenig Ablenkungen gab) entdecken und umso intensiver erleben liess.


Auch Mario Nett aus unserem Stück wird schliesslich Musiker. Obwohl das nicht ohne Zweifel abgeht: «Woher nehme ich denn Ideen, was ich spielen soll? Und gibt’s überhaupt ein Publikum? Und würden die mir überhaupt zuhören??» Antwort vom UmKehrHerr: «Einfach machen!» Ja, so einfach kann es sein. Denn nur wer anfängt, zu spielen, kann Resonanz erzeugen: mit seinem Instrument, mit den Menschen um ihn, und wohl am wichtigsten: mit sich selbst. Selbstwirksamkeit nennt man das in Pädagogendeutsch. Oder einfach: werde, der du bist. Lebe deinen Traum. Wer es nicht probiert, kanns nicht wissen. Und ist Fantasie nur was für Kinder oder Künstler? „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“, soll Albert Einstein (1879-1955), der vielleicht berühmteste Wissenschaftler gesagt haben. Nun, der musste es ja wissen. Ach ja, er war ja auch Musiker, Geiger. Umso mehr erstaunt es in unserer heutigen Zeit, wo Kreativität (die wohl nicht ohne Fantasie auskommt) als der ultimative Skill für fast alle Berufe bejubelt wird, dass wir oft alles tun, um der Fantasie ihre Einflugschneise zu verbauen. Was nützen alle sogenannten seminarkonformen und ewig gleichen «Kreativitätsmethoden», wenn in einem durchgetakteten und auf Effizienz getrimmten Leben verlangt wird, plötzlich «out of the box» zu denken, solange man nicht mal seinen eigenen Gedanken nachhängen darf?


So sind meine Gedanken, denen ich im Anschluss an das Stück nachhänge. Die Versuchung ist gross, in meiner Begeisterung das ganze Theater nachzuerzählen und bis ins Letzte zu analysieren. Seine Symbole, seine Charaktere, seine Dramaturgie. Doch nein, es muss ein Teil Schweigen bleiben über all die kleinen Gags und Tricks, über die Wendepunkte des Geschichte, die wie kleine Wunderkerzen daherkommen. Und auch die Musik – kann man nicht in Worten wiedergeben. So solls sein. Geht es selber anschauen, wenn es nochmals läuft! (bruderboot.ch). Jedenfalls war es eine wunderbare Idee der Veranstalter der Filmbühne – federführend Kaspar und Claudia Kock Marti – das Theater als Auftakt zu ihrer fünftägigen Veranstaltungsreihe im Güterschuppen anzubieten. Etwa achtzig grosse und kleine Leute aller Generationen habe ich im Publikum gezählt. Das Programm im Güterschuppen bis zum folgenden Sonntagabend umfasst Filme aus aller Welt (auch Kurzfilme aus dem Glarnerland!) und ein gehaltvolles Rahmenprogramm, mit verschiedenen Musikgruppen, dem Vortrag einer Politologin, dem Verein Ässa fair teile und natürlich dem Barbetrieb in hinteren Teil des Gebäudes. Etliche Sponsoren und der Filmclub Spotnix unterstützen das Projekt, trotzdem bleibt bei so einem Unternehmen immer noch ein Löwenanteil ehrenamtlicher Arbeit, den die Martis da leisten. Schön, dass Glarner Lüüt gibt, die solches in die Tat umsetzen: Am Anfang war es wohl auch eine Fantasie.


Swantje Kammerecker

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus
  • Ostschweiz

Publiziert am

11.08.2023

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