Radiatoren, mit Flechten verbunden / Eva Gallati
Radiatoren, mit Flechten verbunden / Eva Gallati
Präsentation der Ausstellung / Eva Gallati
Präsentation der Ausstellung / Eva Gallati
Steine, mit Flechten geimpft / Eva Gallati
Steine, mit Flechten geimpft / Eva Gallati
Wandbild, das Plastische / Eva Gallati
Wandbild, das Plastische / Eva Gallati

Glarus

Ein Millimeter pro Jahr

Die Künstlerin Dorothea Bäbler und der Künstler Michael Honegger haben „sich auf den Weg gemacht zu den Flechten, diesen unscheinbaren Akteuren“. Flechten, die auf Steinen, Bäumen sowie auf jedem denkbaren anderen Untergrund vorkommen, sind eines der am meisten verbreiteten Gewächse auf unserem Planeten. Ein Rückblick auf die Vernissage in der Gepäckausgabe.

Flechten sind vielseitig und faszinierend: sie dienten in Notlagen als Nahrung und werden gerade als solche wieder entdeckt, sie würzen Spirituosen und begleiten die Rituale von indigenen Völkern. Flechten sind meistens sehr bitter im Geschmack und schmecken trotzdem manchen Tieren. Sie sind noch immer sehr wenig erforscht. Einer der Gründe dafür ist ihr Tempo.

mit Flechten geimpfte Steine

Wenige Millimeter pro Jahr beträgt ihr Wachstum: der Prozess geht so langsam vonstatten, dass er nicht dokumentierbar ist. Im Raum der gepäckausgabe sind zwei grosse Objekte zu bestaunen: an der rückwärtigen Wand wuchert eine dreidimensionale Flechte einem monströs entgegen, filigran und doch wuchtig prangt sie schwarzweiss wie eine riesige Spinne aus Spitzenborte. So ging es mir schon am Vortag im vorüberfahren auf dem Velo: was hockt da an der Wand??!



Nun darf ich eintreten in die Welt der Flechten. An die seitliche Wand angelehnt und über den Boden gebreitet liegt ein Papiermaché-Bild, das von seinem oberen Rand aus klar und detailliert gezeichnet ausufert bis zum unteren Rand, der dick, schwammig und weiss irgendwo geplättet rund abgeschnitten liegt wie ein weicher Teppich. Die Besucherinnen passen auf, dass sie nicht darauf treten. Eigenartige Objekte die aussehen wie Seegurken mit Stacheln verbinden zwei altmodische Radiatoren und zieren die Tafel am Eingang, Abschnitte eines Flechtenarms wie sie unter dem Mikroskop sichtbar sind, Vergrösserungen von winzig kleinen, mit blossem Auge nicht wahrnehmbaren Organismen. Die keramischen Elemente wurden mit Flechten geimpft, gleich wie die Steine, auf welchen schon kleine grüne und rote Inseln gewachsen sind.



Flechten, so erklärt Michael Honegger, werden nicht zu den Pflanzen gezählt, sondern sind eine Art Pilz x Alge, komplexe Lebensformen, die von tiefsten Minustemperaturen bis zu Hitze nahe dem Siedepunkt vieles erdulden und überleben können. Sie zeichnen sich durch eine extreme Vielfalt an Erscheinungsformen aus und verbreiten sich grossflächig. Unter der Lupe sieht eine Flechte aus wie ein Baum mit silbrigen Ästen. Man stellt sich vor, wie kleine Tiere darunter Futter suchen, wie Regentropfen darin hängen, grossen Glaskugeln gleich. Eine Miniwelt für die Ewigkeit? Flechten leiden zwar unter Umweltgiften, können aber im Weltall überleben (Tests wurden 2016 durch die ESA durchgeführt und bestätigt).



Dies ist eine Ausstellung, die zum Nachdenken und Philosophieren anregt. Sie dauert noch bis zum 16. Juli, der Schlüssel für die gepäckausgabe kann während den Öffnungszeiten beim Kunsthaus abgeholt werden.

Eva Gallati, Kulturbloggerin


Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

04.07.2022

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