Bei Regen und nasser Wiese brauchte es Kraft und Ausdauer auf dem langen Weg.jpg
Bei Regen und nasser Wiese brauchte es Kraft und Ausdauer auf dem langen Weg.jpg
Die Harmoniemusik Näfels spielte immer wieder auf.
Die Harmoniemusik Näfels spielte immer wieder auf.
Fahnenträger beim Verlesen des Fahrtbriefes.
Fahnenträger beim Verlesen des Fahrtbriefes.
Das Klappern der Hufe war schon von Weitem zu hören.
Das Klappern der Hufe war schon von Weitem zu hören.
Die Pilgerer werden unverhofft von einer guten Seele mit Gipfeli versorgt.
Die Pilgerer werden unverhofft von einer guten Seele mit Gipfeli versorgt.
Olgy, die ehemalige Wirtin des Restaurants Rössli, wurde von vielen Anwesenden herzlich empfangen.
Olgy, die ehemalige Wirtin des Restaurants Rössli, wurde von vielen Anwesenden herzlich empfangen.
Bis zum letzten Platz besetzt: Kirche Hilarius, Näfels. Alle Fotos: Susanne Von Dach
Bis zum letzten Platz besetzt: Kirche Hilarius, Näfels. Alle Fotos: Susanne Von Dach

Kultur, Regionale News, Gesellschaft & Leute

„Die Glarner haben den andern aufs Dach gegeben“

Staunen, nasse Füsse und ein Glücksmoment: Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht von Kulturbloggerin Susanne Von Dach über die Näfelser Fahrt 2023. Mitten im Prozessionszug hat sie hingeschaut und hingehört. Entstanden ist ein Stimmungsbild über die feierlichsten neun Kilometer des Jahres.

 


 


 


 


Morgens um 7.15 nähert sich die Harmoniemusik Näfels dem Restaurant Höchi in Glarus, gefolgt von Tambouren, dem Glarner Kantonal Gesangverein und der militärischen Ehrenformation. Sie sind beim Zeughaus in Glarus gestartet. Bereits schliessen sich ihnen etliche Gäste an und auch ich reihe mich zwischen Erwachsene und Kinder ein. Später, beim Minenspicker-Denkmal im Osten von Netstal, werden die Namen der am 15. Dezember 1941 bei einem Minenwerferunglück verstorbenen Soldaten bekannt gegeben, zwei Soldaten legen einen Blumenkranz nieder. Der Musikverein spielt den Marsch „Alte Kameraden“, es wird gesungen und gebetet.


Anschliessend trennen sich die Wege der Menschen. Am Waldrand wird bald eine bunte Menschenkette sichtbar. Musikkorps, Tambouren und Soldaten marschieren auf der für den Verkehr gesperrten Hauptstrasse, da die Wege zu schmal und zu uneben sind für sie. Aus der Ferne kann ich die beiden Kutschen erkennen.


 Wegverbot aufgehoben


Ich stapfe mit einer kleineren Gruppe hinter den „Historischen Freunden 1388“ durch die nassen halbhohen Wiesen. Dieser Weg ist der ursprüngliche Prozessionsweg, das Durchgangsverbot wurde für den höchsten Feiertag im Kanton aufgehoben. Die „Durchzügler“ zeigen sich dafür erkenntlich, indem sie alle in der schmalen Spur über das flachgetretene Gras gehen und keinen Abfall liegen lassen. Als die Regierung eintrifft, beginnt die Feier offiziell.


 Trotzdem an das Gute glauben


Landesstatthalter Kaspar Becker spricht in seiner Fahrtsrede von aktuellen Katastrophen – und wünscht sich gleichzeitig Mut und Zuversicht und den Glauben an das Gute, auf dass den Kindern der Zukunft eine bessere Welt präsentiert werde. Nach weiteren musikalischen Darbietungen setzt sich der Festzug erneut in Bewegung, vorbei an den insgesamt elf mit Kränzen geschmückten Gedenksteinen, die Mitte des 15. Jahrhunderts in regelmässigen Abständen dem Fahrtweg entlang aufgestellt worden waren.


 Beim Laufen hingehört


 Unterwegs in sumpfigem Morast, mit bereits nassen Füssen, höre ich, wie ein Mädchen seinen Papa fragt, was denn der Grund für diesen weiten Marsch, die vielen Soldaten, die Musik und die Männer mit Fahnen und roten Kleidern sei. Er antwortet: „Weil die Glarner Soldaten den anderen aufs Dach gegeben haben! Die haben sie ja alle sooo platt gemacht!“ Das Mädchen fragt nach, wer „die anderen“ denn gewesen seien, worauf der Mann antwortet: Najaaaa....Ausländer. Und weiter: „Die wurden aber grausam in die Flucht geschlagen.“


Inzwischen hat starker Nieselregen eingesetzt. Wir ziehen Richtung Näfels, zum Fahrtsplatz. „Grosser Gott, wir loben dich“, begleitet von Chorgesang und Musik, der Fahrtsbrief, von Peter Staub gelesen, die Predigt, gehalten von Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur. Jetzt steht das letzte Ziel an: das Schlacht-Denkmal. Den Geistlichen und Fahnenträgern in ihren roten Gewändern haben sich nun ebenfalls viele Menschen angeschlossen. Ich mische mich unter sie, höre ihre gemurmelten Gebete: „Gegrüsst seist du, Maria“, und „Vater unser im Himmel“.


 Glückliche Begegnungen auf der Strasse


 Näfels. Hufgeklapper kündigt an, dass sich Pferde und Wagen auf den engen Strassen nähern. Der Kutscher fährt heran, lässt die zwei Braunen kurz darauf vor mir stillstehen. – Rasch rennen einige Kinder hin, um die Tiere zu streicheln. Ich beobachte, wie Olgy Juzeler, die ehemalige Rössli-Wirtin, sanft aus dem Wagen gehoben und in ihren Rollstuhl gesetzt wird, weil ihre Beine nicht mehr wollen. Olgy wird 86 in diesem Jahr. Die kleinste Wirtin der Schweiz hatte das Wirtshaus Rössli in Näfels 41 Jahre geführt. Ihr Strahlen über das ganze, ausdrucksvolle Gesicht berührt mich – und nicht nur mich. Von allen Seiten wird Olgy umarmt, gedrückt und begrüsst.


Feierlicher Abschluss


Kurz vor Mittag treffen wir beim Schlacht-Denkmal ein. Die Nationalhymne ertönt, während junge Soldaten regungslos im nassen Gras ausharren und die Kirchenglocken läuten. In der Barockkirche St.Hilarius findet der Festakt mit der Katholischen Messe ein feierliches Ende. Musikalische Einlagen und Gesang füllen das bis zum letzten Platz besetzte Gotteshaus. Danach scheren die Menschen in alle Richtungen. Sie trotzen den Regenschauern und flanieren an den bunten Marktständen vorbei, ergattern nach geduldigem Anstehen ein wohlverdientes Zmittag oder suchen sich einen Platz im „Schärme“. Wie ich. Und trotz Aprilwetter, beschwerlichem Weg und nassen Füssen: Schön waren sie, meine feierlichsten neun Kilometer des Jahres.

Autor

Kulturblogger Glarus

Kontakt

Kategorie

  • Brauchtum / Feste
  • Gesellschaft
  • Kultur
  • Glarus
  • Ostschweiz

Publiziert am

20.04.2023

Webcode

www.glarneragenda.ch/Uj14yG