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Blick in die Produktion
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Glarus

Buchvernissage "Fantastische Jahre" in der Seidendruckerei Mitlödi

Die Lancierung des neuen Buchs „Fantastische Jahre“ von Bettina Giersberg (Text) und Volker Kreidler (Fotografie) in der Textildruckerei Mitlödi erwies sich als Publikumsmagnet - vor allem bei der älteren Generation. Doch die Tage der fantastischen Jahre sind gezählt,  Ende Januar 2024 folgt der Schlusspunkt unter die Erfolgsgeschichte der Druckerei. Das sehr ansprechende Buch setzt in der Erinnerung an „goldene Zeiten“ einen Meilenstein: Es ist eine Hommage an die Wirtschaftsgeschichte im Glarnerland.

Die Textildruckerei in Mitlödi ist 1937 gegründet worden. Zwischen 1960 und 2000 hat sie fantastische Jahre erlebt. In einer für die Textilwirtschaft schwierigen Zeit, sind viele Druckereien in der Schweiz eingestellt worden. Anders in Mitlödi. Viele tausend Meter Luxusstoffe sind in dieser Zeit für Haut-Couturier und Modehäuser wie Yves Saint Laurens, Chanel, Ungaro oder Givenchy mit Stoffen aus Mitlödi  produziert worden; Sommer- und Winterkollektionen. Der Hauptkunde Abraham AG, Zürich hat die Kontakte zu den Modehäusern gepflegt, so dass diese nicht wussten, woher die Drucke stammten. Nach der Blütezeit von 1992, mit rund 130 Beschäftigten, folgt der starke Rückgang in der Produktion. Die Abraham AG ist 2007 in Konkurs gegangen. Das Ende der Textildruckerei folgt nun per Ende Januar 2024. Ein interessantes und lange erfolgreiches Kapitel der Textilgeschichte geht damit zu Ende. Das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden.

Man kann sich schon fragen, weshalb dieses Ende eintritt, obwohl die Spezialitäten der Druckerzeugnisse aktuell noch gefragt sind. Fritz Trümpy, der Bauunternehmer und Inhaber des Gebäudes und des Betriebs, zieht an der Vernissage die Bilanz. Er macht kein Geheimnis daraus, dass hohe Betriebskosten, eine überdimensionierte Infrastruktur, veralteter Fuhrpark oder der internationale Preiswettbewerb das Überleben unmöglich gemacht haben. Die Folge des Konkurses 2020 war keine Überraschung. Die Fotos im Buch zeugen von den veralteten Anlagen. Und doch ist es erstaunlich, dass es immer noch eine Nachfrage nach den Spezialitäten aus Mitlödi gibt. Das kann auch bedeuten, dass die Strategie nicht auf die Verkleinerung der Infrastruktur  und auf die Spezialitäten ausgerichtet worden ist. Eine Umnutzung wird geplant. Die Hoffnung bleibt, dass noch eine Türe geöffnet werden kann.

Geschichtliche Entwicklungen in der Textilwirtschaft

Die berühmten Designer der Zeit statteten über viele Jahre ihre Kollektionen mit Stoffen aus, die in Mitlödi bedruckt worden sind. Es ist zu vermuten, dass die wenigsten Designer wussten, wo die Stoffe ihrer Kollektionen gedruckt worden sind. Der Designer hat seine Auswahl getroffen und wenn der Stoff zu einer Robe verarbeitet worden ist und über den Laufsteg schwebte, schlugen nicht nur die Herzen der Käuferinnen höher, sondern auch jene der Drucker:innen in Mitlödi.

Die Namen der Entwerfer:innen sind oft unbekannt, weil nur die Marke ihren Namen präsentiert hat. Die Stoffproduzenten kauften von freien Entwerfern:innen  oder Designstudios  Entwürfe oder hatten eigene Ateliers. Die Entwürfe waren oft unsigniert. Der mit dem Design bedruckte Stoff ist an den Stoffproduzenten geliefert worden und wurde von diesem an die grossen Marken verkauft. Die Entwerfer:inn sind so unbekannt geblieben.

Schleiertücher führen zur Haute Couture. Die Glarner Textilunternehmer Trümpy und Jenny liessen in Mitlödi um 1856/57 ein grosses Druckereigebäude bauen um gemeinsam Schleier- und Turbantücher für den Orient und Südosteuropa zu drucken. Zehn Jahre nach der Unternehmensgründung konnten die Firmen 90 Arbeiter:innen an 289 Drucktischen mit dem Druck vielfarbiger Baumwollstoffe beschäftigen. Diese Blütezeit dauerte nur wenige Jahre. Zu Beginn der 30-er Jahre wurde die Tätigkeit eingestellt. Anschliessend wurde die Seidendruckerei Mitlödi von Caspar Hauser und Jakob Fischli gegründet. Gestartet wurde an 11 Drucktischen. Während des Zweiten Weltkriegs konnte man die Produktion steigern und 1947 waren mehr als 120 Arbeiter:innen in der Seidendruckerei beschäftigt.

Welche Stoffe für die Sommer- und Winterkollektionen verwendet werden, entscheiden die Designer. In einer Saison sind üppigste Ornamentiken unverzichtbar, in der nächsten Kollektion bevorzugt man ausschliesslich einfarbige Stoffe. In der Seidendruckerei Mitlödi setzte man auf Diversifikation der Produktion. Neue Arbeitsbereiche wurden dem Betrieb angegliedert: Ab 1949 arbeitete die Filgra  Siebendruckerei in Mitlödi und ab 1972 die ACO Bauelemente Produktion. Mit dem Ausbau des Sortiments wurde zur Stabilisierung der Umsätze beigetragen. Ab 1982 konnten mit der Zusammenarbeit der Wädenswiler Gessner AG hochwertige Dekorations- und Möbelstoffe ins Druckprogramm aufgenommen werden.

Seit den 50-er Jahren war die Textildruckerei Mitlödi eine wichtige Produktionsstätte des Zürcher Seidenmanipulanten, Abraham AG. Der Firmenchef belieferte mit den von ihm gewählten Stoffen die grossen französischen Couturiers wie Dior, Yves Saint Laurent oder Givenchy. Die Abraham AG liess ihre Stoffe jedoch nicht nur in Mitlödi, sondern auch in den Textilwerken Blumenegg in Goldach und bei Ratti in Como drucken. So war eine Konkurrenzsituation gegeben. Jeder aus Mitlödi nach Zürich gelieferte Stoffmeter wurde von der Firma Abraham kontrolliert. Traten Fehler auf, wurden diese in einem Schreiben mit einem Stoffmuster dokumentiert und zugleich Preisminderungen angekündigt. In Mitlödi musste man für den Schaden aufkommen. Der Kunde ist, wie heute auch, König.

Immer am Modepuls der Zeit zu bleiben war das Credo der Gründer der Seidendruckerei Mitlödi. Zunächst übernahm sie das noch neue Siebdruckverfahren für den Textildruck und entschied sich für die Arbeit als Lohndruckerei. Das bedeutet, dass die Stoffentwürfe und die Druckgewebe von den Kunden geliefert werden. Die Druckerei fertigt Druckmuster in unterschiedlichen Farbvarianten an, aus denen der Kunde das Produkt auswählt. Dieses Prinzip war ausschlaggebend für den Erfolg. Stoffdrucke aus Mitlödi wurden so zum unverzichtbaren Bestandteil des Sortiments vieler Manipulanten.

Diese geschichtlichen Einblicke zeigen, dass schon in früheren Zeiten der Kunde mit seinen Anforderungen, die technologischen Möglichkeiten, die Strategie oder die Qualitätsansprüche für den Erfolg einer Druckerei massgebend gewesen sind.

In der Laudatio der Designerin Mara Danz berichtet von einer erspriesslichen und erfreulichen Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden in der Textildruckerei. Die Faszination des Handwerks war über alle Arbeitsbereiche hinweg spürbar. Das Wissen und Können der Mitarbeitenden war der Schlüssel zum Erfolg der Seidendruckerei. Immer wieder hat sich bestätigt, dass der Blick nach vorne für den Erfolg des Unternehmens wichtig ist. Die Verbindung von Handwerk und modernster Technik ist ein wesentlicher Faktor für das Gelingen innovativer Entwicklungen. Dabei schwingt ein tiefes Verständnis für die Gestaltung und die farbliche Ausrichtung mit. In allen Funktionen ist die Professionalität spürbar geworden. Die zeitlose Qualität hat zum Erfolg beigetragen. Leider muss heute, an der Vernissage festgestellt werden, dass diese Professionalität zum Überleben nicht entscheidend beitragen konnte. Der internationale Preiskampf und der damit verbundene Wettbewerb haben letztlich zur Still-Legung der Produktion geführt. Was bleibt ist die Erinnerung an fantastische Jahre.

Eduard Hauser

 

 

"Fantastische Jahre", herausgegeben vom Freulerpalast im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, 2023. ISBN 978-3-03942-174-9, CHF 25.--, 100 Seiten mit 100 Abbildungen.

 

Autor

Kulturblogger Glarus

Kontakt

Hauser Eduard
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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

21.11.2023

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