Göldi Museum
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Caroline Arni - Portrait - Echtzeit Verlag
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Buch "Lauter Frauen" Caroline Arni Echtzeit Verlag
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Sasi Subramanian Foto Innenansicht
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Hans Speck - Veranstaltung Übersicht
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Glarus

Anna-Göldi-Gedenktag und Buchpräsentation "Lauter Frauen"

Am Anna-Göldi-Gedenktag las die Basler Professorin Caroline Arni aus ihrem Buch "Lauter Frauen - Zwölf historische Porträts". Die Historikerin hat neben Anna Göldi drei weitere Frauen vorgestellt, die im 18. Jahrhundert lebten. Das fast ausschliesslich weibliche Publikum hat tiefe Einblicke in die sozialen Rollen der Frauen jener Zeit erhalten.

 

Zum Buch: Fünf Jahrhunderte Frauengeschichten werden in Arnis Buch, das von der Künstlerin Karoline Schreiber illustriert wurde „bemerkenswert poetisch und leichtfüssig“ (Süddeutsche Zeitung) erzählt. Überstrichen werden dabei geschichtliche Horizonte, die in ihrer Ausprägung sehr unterschiedlich gewesen sind. Sklaverei, Demokratie, Arbeit, Kunst oder einfach nur Ideen sind dabei gleichermassen Thema. Gemeinsam machen die Porträts nicht nur ein Stück Schweizer Geschichte sichtbar, sondern geben spannende Einblicke in die Weltgeschichte. Immer geht es um die Frage, wie in den Biografien einzelner Frauen Allgemeines sichtbar wird.

Ausgehend vom Leben der eigenen Grossmutter, Hedwig Howald (1910-1998) porträtiert die Autorin die letzte Äbtissin des Fraumünsterklosters, Katharina von Zimmern (1478–1547), die Schweizer Salonnière im Zeitalter der Aufklärung, Julie Bondeli (1732–1778), die aus dem heutigen Haiti stammende Sklavin Pauline Buisson (ca.1750–1826), die zur letzten Hexe Europas erklärte Dienstmagd, Anna Göldi (1734–1782), die Schriftstellerinnen Germaine de Staël (1766–1817), Emma Herwegh (1817–1904) und Catherine Colomb (1892–1965), die Juristinnen und Frauenrechtlerinnen Emilie Kempin-Spyri (1853–1901) und  Iris von Roten (1917–1990), die Psychoanalytikerin und Anarchistin, Goldy Parin-Matthèy (1911–1997) und  die Künstlerin Meret Oppenheim (1913–1985). Dabei wecken allein schon die Titel der Porträts, wie „Alles ausser heiraten“,  „Gegen das Garnichts“ oder „Wie zwölf Männer“ Neugier und machen Lust, mehr über diese Frauen zu erfahren.

 

Zur Lesung

Mit ihrem sorgfältig recherchierten Hintergrundwissen und treffend ausgewählten Textstellen aus dem von der Presse zu Recht gelobten Buch führte Caroline Arni ihre Zuhörerschaft im Hänggiturm sympathisch und kompetent durch die Biografien von Julie Bondeli, Pauline Buisson, Germaine de Staël und Anna Göldi. Nichts sei erfunden, viel jedoch aus dem Kontext rekonstruiert. Gerade im Fall von Frauen wie der im 18. Jahrhundert illegal in die Schweiz gebrachten ehemaligen Sklavin, Pauline Buisson und zum Teil auch bei Anna Göldi, ist die Quellenlage dürftig. Dass sich Caroline Arni von der prekären Quellenlage nicht abschrecken liess, sondern vielmehr den spärlich vorhandenen Spuren dieser Frauen mit grosser Empathie und Ausdauer konsequent gefolgt ist, ist bemerkenswert und verdient Anerkennung.

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Vier unterschiedliche Frauenbiografien des 18. Jahrhunderts

Anna Göldis Leben wird stellvertretend für das Schicksal vieler migrierender Lohnarbeiterinnen im 18. Jahrhundert dargestellt. Unter dem Titel „Die Kinder der anderen“ zeigt die Autorin, wie die Dienstmagd auf der Suche nach einem Auskommen gezwungen war, von Haus zu Haus ziehen. Dabei wird sie mindestens einmal von ihrem Dienstherrn geschwängert, muss gehen und wird in einem späteren Dienstverhältnis Gegenstand eines Gerüchtes, neuerdings schwanger zu sein. Sie kümmert sich um die Kinder der anderen, während sie aufgrund ihrer Lebensumstände gezwungen ist, sich von ihren eigenen zu trennen. Dass sie sich darum bemüht, an einem Ort zu gebären, wo auch uneheliche Kinder getauft werden, dürfte dabei kein Zufall sein. Schliesslich gerät die Magd in die Zankereien zweier verfeindeter Glarner Herrschaftsfamilien und wird als Giftmörderin zum Tod verurteilt, wobei Caroline Arni betont, dass man Anna Göldi zwar nicht als „Hexe“ verurteilte, aber mit ihr verfuhr, als ob sie eine gewesen wäre.

Ganz anders verläuft das Leben von Julie Bondeli, die auf keinen Fall eigene Kinder haben wollte. Sie ist in einer aufklärerisch gesinnten Patrizierfamilie aufgewachsen, bekam von Privatlehrern eine gründliche Ausbildung in Sprachen, Mathematik und Philosophie und bildete sich, da die Universitäten ausschliesslich von Männern besucht werden durften, im Selbststudium weiter: Ästhetik, Kunst, Ökonomie, Philosophie. Als typische Vertreterin der Oberschicht beherrscht sie das im Berner Patriziat gepflegte Französisch. Sie verfasst in dieser Sprache hunderte von Briefen und erreicht mit ihrem Salon Berühmtheit. Der Vater war Güterverwalter und hinterlässt nach seinem Tode 1761 einen Schuldenberg.  Julie lebte mit Frauen. Zuerst mit ihrer Mutter und ihrer Schwester, dann mit ihrer innigsten Freundin. Mit dieser wurde sie – obwohl sie nie heiraten und schon gar nicht Mutter werden wollte –   dann trotzdem noch Mutter.

Mit Pauline Buisson wird auch eine schwarze Frau porträtiert. Sie wurde als Sklavin in der französischen Kolonie Saint-Domingue, dem späteren Haiti, geboren und lebte ein halbes Jahrhundert lang in einer von zwei Brüdern aus dem Geschlecht der de Treytorrens erbauten Villa in Yverdon. Die Kinder des Städtchens hörten sie singen, während es rundherum auf der Welt zu Revolutionen kam: in der Karibik, in Frankreich und in der Eidgenossenschaft. Pauline Buisson war eine unbekannte Frau, aber bedeutend für die damalige Zeit. Für den Göttinger Gelehrten, Johann Friedrich Blumenbach, der 1783 nach Yverdon kam, um die in der Villa untergebrachte Naturaliensammlung zu besichtigen, wird sie zum Beweis dafür, dass „die natürlichen Geistesanlagen und Fähigkeiten“ schwarzer Menschen „um nichts dem übrigen Menschengeschlechte nachstehen.“ Als von Blumenbach beschriebene „Hebamme von Yverdun“ hat sie sich möglicherweise dank ihrer in Saint-Domingue erworbenen Fähigkeiten einen Namen gemacht. Heute ist sie zu einer möglichen Identifikationsfigur für schwarze Menschen in der Schweiz geworden.

Dass Sklaverei und Sklavenhandel überhaupt erlaubt sind, beklagt Germaine de Staël, die Letztgeborene der vier von Arni beschriebenen Frauen aus dem 18. Jahrhundert. Sie nahm sich als Frau und Mutter nicht nur die Freiheit, fünf Kinder von fünf verschiedenen Männern zur Welt zu bringen, sondern dachte zugleich als weibliche Intellektuelle über eine Freiheit nach, die allen zugestanden werden sollte, „nicht weil sie gleich sind, sondern weil sie gleich werden können, sobald sie ihren Verstand einsetzen“.

 

Fazit

Es geht hier um Vergangenheit, doch ist unverkennbar, dass viele der am Schicksal der vier Frauen sichtbar gewordenen Facetten des 18. Jahrhunderts auch in der Jetztzeit auszumachen sind. Darauf  einzugehen würde den Rahmen dieser Besprechung von Buch und Lesung jedoch sprengen.

 

Eduard Hauser

 

 

 

Autor

Kulturblogger Glarus

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Hauser Eduard
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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

17.06.2022

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