Die Pöstler Geri und Röbi
Die Pöstler Geri und Röbi
Clowns sind gefragt
Clowns sind gefragt
Ungebetener Besuch
Ungebetener Besuch
Eine Explosion
Eine Explosion
Die Aula ist gut gefülllt
Die Aula ist gut gefülllt

Glarus

Ab die Post – und das wars?

Am 11.11. 2023 begann in Glarus nicht nur die Fasnacht, sondern auch die Mundart-Komödie „Ab die Post“ gastierte in der Aula. Die Veranstalterin, die Kulturgesellschaft Glarus, hat damit vermutlich mehr Eintritte generiert als so manche klassische Produktion. Fazit: Ein Vergnügen fürs Publikum, gleichwohl bleiben ein paar Fragen offen.

Viel Zwischenapplaus, Lachen, fröhliches Gekreische: Ab geht die Post – und kommt offenbar gut an beim Publikum in Glarus am Samstagabend 11.11.2023 in der Aula. Das Bühnenbild, die Kostüme, gut gemacht, versetzen gleich ins richtige Ambiente: Es geht um eine Poststelle, der mangels Umsatz die Schliessung droht. Leider ein sehr reales Szenario und auch, dass es für die zwei Angestellten Geri (Beat Schlatter) und Röbi (Christoph Fellmann) als altgediente Pöstler jenseits der 50 nach der Kündigung kaum mehr berufliche Perspektiven gäbe. Der Chef (Ulli Schütz) hat eine Deadline und will bis dann Erfolg und knallharte Zahlen sehen, egal wie. Und da wo der Spass in der Realität aufhört (der Ökonom Mathias Binswanger etwa spricht in seinen Büchern davon wie unser vermeintlich liberales Wirtschaftssystem fortlaufend „perverse Anreize“ produziert, die zwar Erträge steigern, aber den Menschen mehr schaden als nutzen), da fängt er eben in der Komödie richtig an: Erst mit kleinen unentgeltlichen Leistungen als Charmeoffensive „Post bi de Lüüt“, was dann natürlich auch medial ausgeschlachtet wird. Später dann mündet die vermeintliche Hilfe ins Ausspionieren der Kunden.

Die Sozialdetektive undercover kassieren fröhlich Provision von den Behörden, später entdecken sie, dass Erpressung noch viel lukrativer ist. Aufgrund ihrer Spionage fliegt die illegale Tätigkeit einer Sans-Papier namens Aissata (Jeniffer Mulinde Schmid) auf, die ihre Putzjobs verliert und ausgerechnet bei der Post anheuern muss – Geri und Röbi sind unterdessen mit all ihren nachbarschaftlichen Ämtli überfordert. Die Menage à trois bringt gehöriges Chaos in die Poststelle, zumal die heimlich untergebrachte Arbeitskraft vor Chef und Kunden versteckt werden muss und natürlich in den unpassendsten Momenten doch erscheint. Damit nicht genug, kreuzt auch noch die neugierige und überambitionierte Journalistin Laura (Colette Nussbaum) auf, die einerseits dem Frauenheld Geri den Kopf verdreht, andererseits später das ganze Kartenhaus aus Lug und Trug zum Einsturz bringt. Denn die üppigen illegalen Einkünfte müssen verschleiert und „gewaschen“ werden, was die später eifersüchtig-gekränkte Laura gnadenlos aufdeckt. Zu allem drein kommt noch ein Kind, das seinerseits die beiden auf der Post erpresst (weil es die ehemalige Putzfrau seiner Familie dort entdeckt) und als Gegenleistung für sein Schweigen zwei Clowns an seiner Geburtstagsparty verlangt. Das alles, mit den amourösen Verstrickungen von Geri und Laura gewürzt (auf deren Höhepunkt aus dem diskreten Hinterzimmer eindeutige Geräusche dringen) ist routiniert und temporeich zusammengekocht und bietet zwei Stunden gute Unterhaltung. Für viele zumindest.

Andere meinen: „Hm, die beiden letzten Stücke dieser Truppe, die Bankräuber und Polizeiruf 117 waren besser!“ - „Zu viele Klischees und Schenkelklopfer.“ – „Entspricht nicht dem Niveau der Kulturgesellschaft Glarus!“ Ich selber habe während der Vorstellung zwischen beidem geschwankt. Mal war es einfach nur kurzweilig und toll, dann fand ich es eher schal und schablonenhaft: Die Gruselclowns, die rasante Karriere-Reporterin auf Highheels, die Sans-Papiers im bunten Rock, die als POC natürlich „God and Jesus“ um Hilfe anfleht, als im Nebenraum ein kleines Paketbömbchen explodiert, und die als studierte Mathematikerin putzen muss (und auch noch die Uuzfgi des Erpresser-Goofs macht.). Ach ja, und der Schwerenöter Geri, der natürlich trotz allem seine Laura am Schluss kriegt. Ende gut, alles gut?! War das jetzt alles? Viele Themen im Stück haben ja Potenzial und zeigen auch ganz viele Schweizer Eigenheiten (bis hin zu den Dialekten). Hätte man mehr draus machen können.Ein bisschen kam mir die Vorstellung vor wie gewisse auf Tempo und Effekt gemachte Kindertheater. Also ja: Auch als Erwachsene darf man sich ja durchaus mal etwas leichtere Unterhaltung gönnen. Und live, als Gemeinschaftserlebnis ist es allemal schöner eine TV-Konserve. 

Ich vermute aber doch, dass das Stück eine gewisse Enttäuschung zurückgelassen hat. Vielleicht auch bei den Machern: Laut dem ausgelegtem Hochglanzheft war wohl eine durchaus längere Spielzeit geplant – die auf Januar 2021 vorgesehene Premiere musste wegen Corona verschoben werden und trotz der im Heft für 2024 angekündigten Dernière findet man auf der Website nur noch Termine bis Ende 2023. Wer es also noch sehen will, muss sich beeilen. Gerade für aufwendige Independent-Produktionen, die natürlich auch sehr unterstützenswert sind, hängt der (finanzielle) Erfolg natürlich auch sehr vom Zulauf des Publikum ab, dessen Geschmack es halt treffen muss.

Was die Veranstalterin, die Kulturgesellschaft Glarus, angeht: Bemerkenswert ist, dass das Stück wahrscheinlich mehr Eintritte generiert hat als so manche klassische Produktion. Wobei auch die üblicherweise in Glarus gespielten Klassiker der Kulturgesellschaft Glarus mit modernen und durchaus witzigen Inszenierungen aufwarten ; man denke nur an den herrlichen Sommernachtstraum des Theaters Kanton Zürich, 2018 als Freiluftvorstellung an der Kanti!. Aber eben: Dem Theater haftet vielleicht immer noch ein etwas elitärer Touch an, ausgenommen Mundart-Komödien. Von daher ist es gut, dass der inzwischen über 100-jährige Kulturverein auch mal über seinen klassischen Schatten springt und – vermehrt seit 2014 mit seinem neuen Auftritt und Namen – eine grössere Bandbreite an Schauspielen anbietet: Nebst Klassikern verschiedener Epochen auch Kindertheater und -musicals, moderne Stoffe wie Soul Kitchen, englisches Theater wie „Frankenstein“, Theatersport oder Mundartstücke.

Wenn dann noch die Qualität stimmt, umso besser. Die Programmverantwortlichen der Kulturgesellschaft Glarus wissen als Einheimische meist recht gut, wie die Bevölkerung tickt. Auch diesmal haben sie sich nicht verrechnet: Die Aula ist gut gefüllt, obwohl am 11.11. gleichzeitig das Theater Glarus sein Mundart-Stück „Die Schweizermacher“ spielt, obwohl an diesem Tag Fasnachtsbeginn ist, obwohl noch ein paar weitere grosse Konzerte im Kanton stattfinden. Und für alle, die sich auf den nächsten (modernen) Klassiker freuen, gibt es im März 2024 die Aussicht auf Büchners „Woyzek“.Mehr Infos: www.ab-die-post.ch und www.kulturgesellschaft-glarus.ch

Swantje Kammerecker

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

20.11.2023

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