Nicht zu verfehlen: der Wanderdrechsler am Weihnachtsmarkt in Einsiedeln.
Nicht zu verfehlen: der Wanderdrechsler am Weihnachtsmarkt in Einsiedeln.
Die Leidenschaft fürs Drechseln begleitet Paul Rüegg seit seiner Jugend.
Die Leidenschaft fürs Drechseln begleitet Paul Rüegg seit seiner Jugend.
Blick ins Sortiment, das in seiner Werkstatt in Reichenburg entsteht.
Blick ins Sortiment, das in seiner Werkstatt in Reichenburg entsteht.
An seinem Stand drechselt Paul Rüegg "live" - damit will er das Interesse am Handwerk wecken.
An seinem Stand drechselt Paul Rüegg "live" - damit will er das Interesse am Handwerk wecken.
Drechseln bedeutet präzise Handarbeit mit Fingerspitzengefühl.
Drechseln bedeutet präzise Handarbeit mit Fingerspitzengefühl.
Vor den Augen des Publikums entstehen winzige Tannenbäume.
Vor den Augen des Publikums entstehen winzige Tannenbäume.
Bewährtes Team: Josefine unterstützt ihren Mann seit über 35 Jahren. Fotos: Susanne von Dach
Bewährtes Team: Josefine unterstützt ihren Mann seit über 35 Jahren. Fotos: Susanne von Dach

Nouvelles régionales, Société & personnes, Culture

Ein Weihnachtsbäumchen vom Wanderdrechsler

Theoretisch ist Paul Rüegg pensioniert, praktisch lebt er seine Leidenschaft als Wanderdrechsler. Ein Besuch am Weihnachtsmarkt in Einsiedeln und ein Gespräch über kreisende Gedanken beim Einschlafen, regionales Holz und den schönsten Abgang in Jenseits.

Am Marktstand von Paul Rüegg liegt der Duft von frischem Holz und Hobelspänen in der Luft. Einmal mehr ist er am Einsiedler Weihnachtsmarkt und bringt mit seiner Arbeit an der Drechselbank Gross und Klein zum Staunen. Der einzige Wanderdrechsler der Schweiz verzaubert die Marktbesucherinnen und -besucher zurzeit wieder mit der Herstellung von grossen und kleinen Holztannenbäumchen, hölzernen Schüsseln, Bestecken, Mottenkugeln und vielem mehr.

Seine Werkstatt hat Paul Rüegg in Reichenburg, zuhause ist der Vater von zwei erwachsenen Töchtern in Niederurnen, wo er mit seiner Josefine wohnt. Seit 35 Jahren ist das Paar verheiratet. Sein Hobby? Schaffä! Er habe sein Hobby zum Beruf, und den Beruf zum Hobby gemacht, erklärt er mit einem stillen Leuchten in den Augen.

Begeistert seit der Jugend

Schon in Jugendjahren hat der 66-Jährige seinem Vater in der Werkstatt geholfen, dann eine Ausbildung als Bodenleger absolviert. Das Drechseln empfand er damals schon mehr als Freude denn als Arbeit. Kein Wunder, entschied er sich nach der Lehre definitv für die Drechslerei, und machte sich selbstständig. Während 18 Jahre leitete der Niederurner eine Werkstatt für Arbeitslose, wo er die Menschen förderte und stärkte. „Die Arbeit mit dem Holz tat ihnen gut“, sagt er. „Sie konnten dabei abschalten, sich unbeschwert entfalten und verwirklichen. Das bestärkte mich darin, dass ich auf einem guten, sinnvollen Weg war.“

Paul Rüeggs Alltag ist vielfältig: Er bietet Drechslerkurse an, ist an Mittelalter-, Frühlings- und Warenmärkten anzutreffen oder wie jetzt am Weihnachtsmarkt. Seine Frau Josefine unterstützt und begleitet ihn, auch am Weihnachtsmarkt in Einsiedeln steht sie ihrem Mann zur Seite.Bei unserem Treffen im Café kurz vor Marktbeginn setzt sich der Wanderdrechsler an das runde Tischchen. Bekleidet mit einem Edelweiss-Hemd, Fellgilet und Armstulpen, die nackten Füsse in Holzzoggeli, nimmt er einen Schluck Schokolade aus einer weissen Tasse. Die Hobelspäne in seinem Gilet zeugen von seinem Tun.

Holz aus dem Glarnerland

Die Späne stammen aus regionalem Holz, vorwiegend aus dem Glarnerland, das sei ihm wichtig, betont er. Grundsätzlich arbeite er mit jeder Holzart. Für die Herstellung von Küchenartikel eigne sich Linde und Ahornholz am besten, für dekorative Artikel nehme er Nussbaumholz, Esche, Eibe, erfahre ich unter anderem. Und dass er vorankommen möchte. Deshalb überdenke er seine Produktionsprozesse laufend und überlege, wie er sie optimieren könnte.  Beim Einschlafen und beim Aufwachen kreisen seine Gedanken unaufhörlich um neue Ideen. Eine davon: Ein hölzerner Nussknacker, vogesehen fürs 2024.

Theoretisch ist der Wanderdrechsler pensioniert. Aber praktisch arbeitet er oft über 100 Prozent. Manchmal wollen die Hände nicht mehr so wie er – Arthrose macht ihm zu schaffen. Doch deswegen den Bettel hinwerfen? Nie und immer. Er will weiterhin drechseln, und wenn er einen Wunsch frei hätte, wie er dereinst ins Jenseits gehen wird, dann am liebsten während der Arbeit, verrät er.

Mehr Aufmerksamkeit für Natur und Handwerk

Es ist ein regnerischer Montag. Andere bleiben drinnen an der Wärme, Paul Rüegg wird einmal mehr während Stunden an seinem Marktstand stehen. Was treibt ihn an? „Ich möchte den Menschen meinen Beruf und die Natur näherbringen. In der Hoffnung, dass beide mehr Aufmerksamkeit erhalten“, antwortet er. Dass manche Leute den Bezug zur Natur verloren haben, beschäftigt ihn. „Gerade für Kinder ist es wichtig, dass sie ihre nahe Umgebung bewusster und aufmerksamer wahrnehmen.“

 Zurück am Marktstand, schaltet Paul Rüegg seine Drechsler-Maschine ein. Leise schnurrt sie vor sich hin, und aus dem Stück Holz entsteht in Windeseile ein Bäumchen. Dann noch eins und noch eins, weisse Hobelspäne spicken nach links und rechts, unzählige landen in seinen Haaren. Kinder und Erwachsene haben sich vor der Drechslerbank versammelt, sehen Rüeggs Handwerk fasziniert zu. Immer wieder sorgt der Wanderdrechsler mit seinen Sprüchen für Gelächter. Und wenn die Menschen weiterziehen, versteckt sich in ihren  Wollhandschuhen oft ein winziges Tannenbäumchen, kaum 5 Millimeter gross, oder ein Surrli – ein Weihnachtsgeschenk vom Wanderdrechsler persönlich.

 

Text und Fotos: Susanne von Dach

 

 

 

Autor

Kulturblogger Glarus

Catégorie

  • Art / dessin
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  • Suisse sud-est
  • Autre nouvelle régionale

Publié à

21.12.2023

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