Sie spielen die Hauptrolle. Foto: pixabay.com
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Er spielt auch eine Rolle. Foto: pixabay.com
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Franziska Hidber kam dem Rätsel lange nicht auf die Spur. Foto: Manuel Castellote
Franziska Hidber kam dem Rätsel lange nicht auf die Spur. Foto: Manuel Castellote

Société & personnes, Culture

Die Heiligen Drei Könige und das Hundekind

Zum Abschluss der persönlichen Weihnachtszeit-Kulturblogserie erzählt Kuratorin Franziska Hidber eine wahre Dreikönigsgeschichte. Anteil Besinnlichkeit: Null. Es kommen vor: Die Heiligen Drei Könige, ein Hundekind und der Lyriker Ludwig Thoma. Gewisse Stellen lesen sich ein wenig grausam, aber am Schluss folgt eine Erkenntnis.

Von Franziska Hidber, Kuratorin Glarner Agenda

Vor einigen Jahren, kurz vor Weihnachten: Ich war gerade dabei, die Schachtel mit den Krippenfiguren zu öffnen. Meine Mutter hatte sie einst alle selbst gefertigt, liebevoll jedes Detail von Hand gestaltet: Köpfe und Hände aus Ton, die Kleider genäht, das Fell der Schäfchen geklebt, Frisuren aus Pelz und Wolle. Nun kamen sie nach einer Pause wieder ans Tageslicht, schliesslich waren die Töchter inzwischen in einem Alter, da sie nicht mehr alles in den Mund nahmen oder zu Forschungszwecken auseinanderpflückten.

Stop! Moment! Stimmt, von den Mädchen ging keine Gefahr mehr aus für das Krippen-Ensemble. Aber was war mit dem Hundekind, das seit zwei Monaten zu unserer Familie gehörte und sich in der Hochblüte des Knabberalters befand? Ich legte die Schachtel zur Seite. Die Krippe würde ein weiteres Jahr im Keller bleiben müssen.

Stattdessen griff ich zur Ersatzkrippe, einem Serienprodukt aus Holz. Ich gruppierte Maria und Josef ums Jesuskind, die Hirten um die Schafe, und, ein Stück entfernt, die drei Könige um den Bethlehemsstern. Zwei braune Hundeaugen verfolgten mein Tun. Ich gab dem jüngsten Familienmitglied zu verstehen, dass es sich fernzuhalten habe.

Das Hundekind aber war schlau. Es tat so, als würde es sich keinen Deut für die Krippe interessieren. Auf seiner schwarzfelligen Stirn stand geschrieben: „Glaubt ja nicht, dass mich das hier etwas angeht. Diese Figuren sind mir komplett egal.“

Eine glatte Lüge. Das erste Opfer der weissen scharfen Junghundezähne war Melchior. In erbämlichen Zustand lag er unter dem Weihnachtsbaum, sein Körper voller Bissspuren, der linke Arm fehlte. Das Hundekind guckte unbeteiligt.

Am nächsten Morgen lag Balthasar kopflos direkt neben dem Lego-Zoo. Was von seinem Kopf noch übrig war, erinnerte an die Sägespäne auf dem Boden einer Schreinerei. Das Hundekind döste vor sich hin.

Irgendwann im Verlaufe des Nachmittags traf es den Dritten im Bunde: Melchior bot einen Anblick des Grauens. Beide Beine abgebissen, der Kopf zur Hälfte auch, die Hände zerstückelt. Das Hundekind schaute desinteressiert aus dem Fenster.

Danach geschah das Merkwürdige. Die Frevelei war vorbei. Hirten, Schafe, Maria und Josef, das Jesuskind – sie alle blieben verschont. Die ganze Weihnachtszeit über. Bis ich sie am Dreikönigstag wieder versorgte. 

Was hatte das zu bedeuten? Weshalb ausgerechnet die Könige? Und plötzlich fiel mir das Gedicht „Die heilige Nacht“ des deutschen Erzählers und Lyrikers Ludwig Thoma ein, das ich vor Jahren hatte auswendig lernen müssen.

„Die Hirten, die will es erbarmen,

Wie elend das Kindlein sei.

Es ist eine G’schicht für die Armen,

kein Reicher war nicht dabei.“

Und nun verstand ich die Mission des Hundekindes! Es musste die Reichen entfernen. Es setzte nur um, was Ludwig Thoma einst in einen Reim verpackt hatte.

Vielleicht war es viel klüger, als wir alle meinten.

 

Autor

Kulturblogger Glarus

Catégorie

  • Coutumes, folklore / célébrations
  • Societé

Publié à

05.01.2024

Webcode

www.glarneragenda.ch/rwY91D