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Enrico IV
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Mitlödi Wappen
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Glaris

Bunte Weltmusik in der Dorfkirche

Zwei „Könige der Musik“ konzertierten am 6. Januar in der Dorfkirche Mitlödi. Mitlödi Kultur Aktiv hatte den gut besuchten Anlass organsiert: Kultur im Nahen, die einen weiten Raum des Erlebens öffnet.

Der Trompeter, Frits Damrow, ist Niederländer; der Akkordeonist Srdjan Vukasinovic gebürtiger Serbe, beide unterrichten als Dozenten an der Zürcher Hochschule der Künste. Wobei man den Wahlglarner Damrow inzwischen als einheimischen Künstler bezeichnen muss: Er wirkte bereits an Konzerten in der Kirche Mitlödi mit, so etwa beim Orgeljubiläum von Martin Zimmermann und anlässlich des 10-jährigen Geburtstags von Mitlödi Kultur Aktiv. Er komponierte auch zwei Mitlödner Jubiläumsfanfaren. Srdjan Vukasinovic vereint osteuropäische Musiktraditionen mit einer klassischen Ausbildung, verbreitert sein Repertoire mit dem Tango aber auch nach Westen hin – ein Crossoverkünstler. Zum Schwyzerörgeli, dem kleinen diatonischen (zweitönigen) Geschwister des Akkordeon, erklärt er, dass dies wohl durch Einwanderer nach Südamerika gelangt ist und sich zum Bandoneon entwickelte – dem typischen Tango-Instrument. So vernetzt ist die Welt der Musik!

„Akkordeon und Trompete – ich bewundere Ihren Mut, sich ein solches Konzert anzuhören“, meint Frits Damrow augenzwinkernd bei der Begrüssung des Publikums in der Dorfkirche Mitlödi. Schliesslich gebe es für diese Kombi praktisch keine Werke, aber Arrangieren ist natürlich erlaubt und wurde schon immer gemacht. Grad der Anfang ist so ein Beispiel – die zwei Sätze aus einer Sonate des italienischen Barockkomponisten Benedetto Marcello, ein feierlicher Auftakt , hätte man zu Lebzeiten des Komponisten gar nicht auf der Trompete spielen können. Denn diese verfügten damals noch nicht über Klappen wie moderne Trompeten. Ausser der Trompete, deren Klang Damrow mit verschiedenen Aufsätzen variiert, spielt er auch auf dem Flügelhorn, das etwas weicher tönt.

In dem rund einstündigen Konzert wird musikalische Lebensfreude grenzüberschreitend zelebriert, und nebenher erfährt man durch kurze Moderationen der Musiker auch Wissenswertes: So erklärt Srdjan Vukasinovic, wie in Osteuropa aus einem einfachen Liedchen (hier demonstriert mit „alle meine Entchen“) durch Verzierungen ein lüpfiges Volkmusikstück wird oder die gewagten ungeraden Rhythmen (etwa 7/8tel, 9/8tel, 13/8tel…) ein Stück interessant aufpeppen. Das kommt bei diesem virtuosen Musiker, als er einen Soloblock spielt, ganz locker und selbstverständlich herüber, ist aber – zumal in immer schnellerem Tempo – eine fast schwindelerregende Angelegenheit. Bemerkenswert finde ich auch: Je nachdem, welche Art Musik er spielt, wirkt der Akkordeonist wie verschiedene „Charakterdarsteller“. Daher frage ich mich zwischendurch: Was könnte etwa in den hier anwesenden Menschen des Publikums noch stecken? Etwa eine Flamencotänzerin, ein Blueser oder ein Fan japanischer Gartenkunst? Wahrscheinlich sind – oder wären – wir alle viel komplexer, viel aufnahme- oder ausdrucksfähiger, als wir meinen? Öffnen wir uns also dem, was uns über den eigenen kulturellen Gartenzaun hinaus lockt, ohne verbissenen Ehrgeiz, aber auch ohne Angst vor kultureller Aneignung! Und ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen… Könnte das vielleicht 2024 passieren?

Dazu passt, was Frits Damrow über Astor Piazzolla sagt, der als der Tango-Komponist schlechthin gilt. Zu Recht, aber nicht nur: Piazzolla wollte seinen Horizont erweitern. Und er konnte dies tun, als er einen Wettbewerb gewann, was ihm ein Auslandsstipendium ermöglichte. Er ging nach Paris zu Nadja Boulanger, um sich als klassischer Komponist auszubilden. Er lernte dort eine Menge, folgte aber dem Rat seiner Professorin, sich wieder dem Tango zuzuwenden, den er so erneuerte. Ob je so grossartige Kompositionen wie der Libertango entstanden wären ohne diesen musikalischen Weitblick? Weniger bekannt ist auch, dass Piazzolla Filmmusik komponierte. Daraus – aus dem Film „Enrique IV“ konnte man am Abend Kostproben hören. Einen umgekehrten Weg – von Osten nach Westen – ging der Ungar Béla Bartók, der aus politischen Gründen während des zweiten Weltkriegs in die USA emigrierte. Sein Vermächtnis ist u.a. das riesige gesammelte Werk der Volksmusik Osteuropas. Seine rumänischen Volkstänze, sonst z.B. für Violine und Klavier bekannt, sind in der wunderbaren Akustik der Dorfkirche ein Erlebnis mit Trompete und Akkordeon. Auch in der Schweiz hat Bartók Spuren hinterlassen, u.a. weilte er 1936 im Hotel Tödiblick in Braunwald. Dank seines reichen Basler Mäzens Paul Sacher schrieb er in der Schweiz Auftragskompositionen. Sich die Schweiz so zu denken, wieder als Fluchtort für politisch Verfolgte, die ihre Kultur und ihr Talent fruchtbar in die hiesige einbringen, lässt einen warm ums Herz werden. Und Musik, die Sprache des Herzens, kann überall verstanden werden. Die drei heiligen Könige brachten aus der Fremde Weihrauch, Myrrhe und Gold. Die zwei Musik-Könige – so nannte sie Heinrich Speich in seinen Dankesworten am Schluss – brachten Klänge, die ebenfalls aus verschiedenen Fernen kamen und dem Publikum Glanz, Wohlgeruch und gemeinschaftliche Freude schenkten. Ja, es lohnt sich, ein Konzert zu besuchen, wo man vorher nicht so genau weiss was einen erwartet. Es müssen nicht immer die gleichen Lieblingsstücke sein, sondern durchaus bisher unerhört Neues. Denn so öffnet sich im Kleinen die Tür in die grosse weite Welt. Nach der Innerlichkeit der Festtage ein schöner Start ins neue Jahr, das uns ja ebenfalls abverlangt, uns auf Neues einzulassen. Hierbei wünsche ich uns und Ihnen viel Freude und offene Ohren.

Wer zur Kultur in Mitlödi mehr wissen will: https://www.mitloedi-kultur-dorfverein.ch/

Konzerte in der Kirche Mitlödi: https://www.ref-mitloedi.ch/index.php/musik

Swantje Kammerecker

Autor

Kulturblogger Glarus

Catégorie

  • Glaris

Publié à

09.01.2024

Webcode

www.glarneragenda.ch/MgPXJV