Was wird es?
Was wird es?
Der Abend unter Freunden beginnt
Der Abend unter Freunden beginnt
Vincent zeigt ein "Müffi"
Vincent zeigt ein "Müffi"
Traute Runde
Traute Runde
Anna trifft ein
Anna trifft ein
Streit in vollem Gange
Streit in vollem Gange
Betretenes Schweigen
Betretenes Schweigen
Die Schwiegermutter ist am Telefon
Die Schwiegermutter ist am Telefon
Claudes Enthüllung
Claudes Enthüllung

Glarus, East Switzerland

Gesellschaftskomödie mit französischem Charme und Glarner Direktheit

Fünf Schauspielende des Theater Glarus haben unter Regie von Jeannot Hunziker zehn Aufführungen des kurzweiligen Kammerspiels «Der Vorname» zu einem einzigartigen Erlebnis werden lassen.

Am 27. November 2022 war Premiere, am 12. November Dernière:  Nun ist der Vorhang der Bühne im Schützenhaus Glarus zu «Der Vorname» gefallen. Das Kammerspiel nach dem französischen Kassenschlager »Le prénom« von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, 2010 in Paris uraufgeführt und mit grossem Erfolg 2012 verfilmt, ist auch bekannt durch die deutsche Kinoversion von 2018, welche bereits im deutschen Fernsehen lief. Eine wirkliche Uraufführung ist dagegen die von Dodo Brunner ins Glarnerdeutsch übertragene Bühnenfassung.  Das passt gut zusammen – die grossbürgerliche Pariser Ambiance und die Direktheit, der träfe Witz und die lautmalerischen Mundart-Wörter unserer heimischen Sprache: wie etwa das «Müffi»  – Grimasse wäre nur halb so anschaulich. Von diesen gibt es übrigens herrlich viele Variationen im ganzen Stück…

Treten wir ein in die gute Stube. Der Blick geht hinaus auf die Silhouette von Paris, langsam eindämmernd vom Tag zur Nacht. Drinnen Empire-Möbel und graue Büchergestelle mit grauen Büchern an grauen Wänden – sie stehen für die Gelehrsamkeit des Hausherrn Pierre, eines Literatur-Professors. Und vielleicht auch für manch graue Theorie, die im Leben immer wieder mit Buntem und Schrägem kontrastiert wird. Zum Beispiel mit den Häufchen Legos und Plüschtieren, die dezent die Zimmerecken belagern. Zwar sind die Kinder schon im Bett und die patente Hausfrau Elisabeth mit ihrem marokkanischen Buffet parat für den Abend mit Gästen. Doch schon am Anfang ist die Stimmung getrübt, weil Pierre, der so gerne alles unter Kontrolle hätte, vergeblich nach seinem Kellerschlüssel sucht. Das mündet natürlich in Schuldzuweisungen. Wahrscheinlich war es die Putzfrau…? Ausserdem ruft auch noch die Schwiegermutter an und kann nur mühsam abgeschüttelt werden. Soweit die Klischees, mit denen gekonnt gespielt wird. Die Komödie nimmt nochmals Tempo auf, als Vincent (Bruder von Elisabeth) und Claude (ein Kindheitsfreund und Ziehsohn der Familie) eintreffen. Schnell wird Vincent Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nicht zuletzt weil er aus dem Vornamen seines ungeborenen Sohnes ein grosses Thema macht. Der Selfmademan und Sunnyboy, hervorragend gespielt von Albert Müller, hat es ohne Abitur rascher zu Reichtum und Einfluss gebracht als sein intellektueller Schwager Pierre. Der trägt sein Weltbild als sozialkritischer und geschichtsbewusster Intellektueller vor sich her, ebenfalls überzeugend verkörpert durch von Maurizio Piva. Dass die beiden immer wieder Gefechte inszenieren, ist unausweichlich. Zwischen diese Fronten geraten der etwas melancholisch wirkende Musiker Claude (Marco Landolt) und die Hausfrau Elisabeth (Angela Galli), deren Bemühungen für einen perfekten Abend torpediert werden. Und die schwangere Anna (Isabel Pankasz), Vincents Frau, erscheint gar eine Stunde zu spät.

Da ist der Streit bereits in vollem Gange. Vincent zieht alle Register, um seine Gastgeber aufzustacheln. Just als Elisabeth in der Küche verschwindet und die erhoffte Enthüllung des Vornamens verpasst, lässt er ihn fallen: Adolf – oder besser gesagt «Adolphe» (nach einem Roman von Benjamin Constant). Ob das ernst gemeint oder nur fake war, ist erst nicht ganz klar – weder den Akteuren noch dem Publikum. Jedenfalls erwächst später daraus ein weiteres Missverständnis, welches die Streitwelle weiterträgt zu Anna. Sie hatte den Namensvorschlag «Adolf» nicht mitbekommen und meint, Pierre würde sich über den tatsächlich gewählten Kindsnamen (Paul, nach dem seligen Vater von Vincent und Elisabeth) echauffieren. Daraufhin brüskiert sie die Gastgeber, indem sie über die Namen derer Kinder – Adonas und Athena – herzieht. Als auch das abgehandelt und das Essen kalt ist, kriegt der bis anhin ruhige Claude sein Fett weg. Mit Ende dreissig immer noch Junggeselle, was da nicht mit ihm stimme? Gar schwul? Doch, gibt er schliesslich zu, er habe eine Freundin, sie sollen endlich Ruhe geben. Aber da geht es erst richtig los, man will alles genau wissen. Bis dann der Knoten platzt und Claude in einer grossen theatralischen Ansprache enthüllt, dass er seit Jahren mit seiner Ziehmutter, also der Maman von Vincent und Elisabeth zusammen ist. Wohlgemerkt heimlich – um nicht die Freundschaft zu belasten. Die Geschwister, ohnehin schon erschüttert von allerlei anderen Enthüllungen, finden das skandalös. Nur Anna – die offenbar schon von der Liaison wusste – wirft ihnen Ignoranz vor und droht ihrem Gatten die Trennung an, sollte er sich nicht entschuldigen und wieder «runterkommen». Bleibt in einer grandiosen Schluss-Szene noch die finale Abrechnung von Elisabeth mit ihren zwei Alpha-Männchen, Bruder und Gatte. Beide haben sich stets in ihren Eitelkeiten gesonnt – und sie in den Schatten gestellt. Der eine wickelte zu ihrem Nachteil die Eltern und Frauen um den Finger, der andere hat ihr das Thema der Doktorarbeit geklaut und die ganze Familienarbeit aufgebürdet, um selber Karriere machen zu können. Wie sich das Schwergewicht der Dramaturgie am Ende auf die beiden erst weniger dominanten Figuren verschiebt, ist spannend umgesetzt.

Die Ankündigung zu Beginn von Rolf Blumer, dass jeder in diesem Stück etwas aus dem eigenen Leben wiederentdecken werde, kann auch die Schreibende bestätigen. Denn am Ende kommt es erstens anders, und zweitens, als man denkt. Von Papa Vincent, der den Epilog bestreitet, ist zu erfahren, dass das «Schnäbeli» auf dem Ultraschall offenbar eine Fehlinterpretation war und ein Mädchen zur Welt kam. Welcher Vorname passt da? Auch die Schreibende hatte so ein Aha-Erlebnis: Ihre Zweitgeborene stellte sich überraschend als «Kind Kammerecker weiblich» heraus und konnte erst nach drei Tagen würdig benannt werden, nach den Grossmüttern. Ganz wie bei Familie Garaud-Larchet-Caravati, wo das Baby zur Zufriedenheit aller den Vornamen der Grandmaman erhält.

Nicht nur aufgrund dieser schönen Koinzidenz hat mir das Stück viel Freude bereitet. Es war ein Genuss: engagiert gespielt, mit gutem Spannungsbogen, stimmigen Bühnenbild, Requisiten und Kostümen. Die fünf Darstellenden zeigten sich als gut aufeinander abgestimmtes Team, wobei die unterschiedlichen Charaktere schön herausgearbeitet waren. Dafür gab rundum ein begeistertes Echo. Für das Stück selber gilt das auch - nur eine Besucherin sagte mir, es sei ihr zuviel um "Adolf" gegangen; einem anderen waren die angriffigen Dialoge zu heftig. Das ist natürlich eine persönliche Sache, aber zeigt für mich eben gerade, dass  dieses Stück zu packen vermag – und zu erinnern: dass ein Diktator mitten in Europa 6 Millionen Juden töten liess und einen Weltkrieg mit 50 Millionen Todesopfern anzettelte. Und die Frage stellt sich: Ist es angesichts eines solchen kollektiven Traums mit der Verbannung von Namen und politisch unkorrekter Wortwahl getan? Soll man das Schreckliche also möglichst ruhen lassen? Oder erscheint nicht ein Vincent, der dieses «Feigenblatt der guten Gesinnung» gnadenlos zerpflückt, am Ende aufrichtiger? Klar wird auch: Zivilisiertes Verhalten ist zuweilen ein nur dünnes Mäntelchen über einer schwelenden Aggression – in der vertrauten Enge einer Familie kann der Funke schnell überspringen. Und was im kleinen Kreis gilt, passiert eben auch, leider, auch im grossen Stil der Weltgeschichte. Wo und wie also fangen wir es an, inmitten von Eitelkeiten, Enttäuschungen, und Provokationen einen kühlen Kopf zu bewahren? Fragen, die schlussendlich über Krieg und Frieden entscheiden können.

Bei «Der Vorname» wird am Ende alles gut – sogar der Kellerschlüssel wird wiedergefunden. Übrigens gibt es bereits einen Nachfolger, «Der Nachname», kein Witz. In Deutschland startete der Film im Oktober. Vielleiht wäre das Drehbuch auch was fürs Theater Glarus? Es gibt doch so schöne Glarnerdeutsche Nachnamen! Oder wie wäre es einmal mit «Der Übername?» 

Text und Bilder: Swantje Kammerecker

Autor

Kulturblogger Glarus

Contact

Category

  • East Switzerland
  • Glarus

Published on

13.11.2022

Webcode

www.glarneragenda.ch/TEmHQL