Portrait Karin Reichmuth, Foto: Beni Blaser
Portrait Karin Reichmuth, Foto: Beni Blaser
Karin Reichmuth Plastiksack
Karin Reichmuth Plastiksack
Karin Reichmuth Polpo-sition 2019
Karin Reichmuth Polpo-sition 2019
Karin Reichmuth In  Marmor gekleidet 2015
Karin Reichmuth In Marmor gekleidet 2015
Karin Reichmuth Drei Affen
Karin Reichmuth Drei Affen
Karin Reichmuth Malerei
Karin Reichmuth Malerei
Karin Reichmuth Alltagsgegenstände
Karin Reichmuth Alltagsgegenstände
Karin Reichmuth Malerei
Karin Reichmuth Malerei
Karin Reichmuth Collage: Transformation 2019
Karin Reichmuth Collage: Transformation 2019

Glarus

Portrait Karin Reichmuth - Fokuspreisträgerin 2020

Karin Reichmuth hat mit ihrer vielseitigen Kunst - Skulpturen, Malerei, Collage - den Fokuspreis des Glarner Kunstvereins 2020 gewonnen

Karin Reichmuth - *1979 -  aufgewachsen in Goldingen lebt und arbeitet in Ennenda GL und Carrara IT – ist die Fokuspreisträgerin des Glarner Kunstvereins 2020. Ihre Arbeit kann der konzeptuellen Kunst zugeordnet werden. Die Idee steht im Zentrum, weniger die ästhetische Umsetzung eines Werks. Damit eröffnet sich der Blick auf das Wesentliche. Bei der konzeptuellen Kunst handelt sich um eine Weiterentwicklung der abstrakten Malerei und ist Ausdruck verschiedener Kunstrichtungen wie die Objektkunst. Karins Arbeiten sind geprägt durch eine breite Vielfalt, was sich bei der Bildhauerei, der Malerei und den Collagen deutlich manifestiert.

Sie hat eine Lehre als Steinmetzin absolviert und an der Akademie der Künste in Wien bis 2011 studiert. 2019 hatte sie einen Lehrauftrag für Steinbildhauerei, internationale Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg. Karin hat sich in den letzten Jahren mit vielfältigen Ausstellungen national und international bekannt gemacht. Der Gewinn „Fokuspreis des Glarner Kunstvereins 2020“ gibt die Möglichkeit 2021 eine Einzelausstellung im Kunsthaus Glarus durchzuführen. Die Jury hat sich von der technischen Raffinesse und der verbindlichen Präzision ihrer Steinmetzarbeiten und den vielfältigen Ausstellungsereignissen überzeugen lassen. Basalt, Cristallino- und Carrara-Marmor sind Materialen, die Karin bearbeitet. Die Möglichkeit, dass sie in Carrara ein Atelier betreiben kann, führt sie ins Marmor-Zentrum.

Die Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen verweisen auf Ortsbezüge, Situationen und Zustände in unserer Gesellschaft. Der „Plastiksack“ ist 2014/16 zu einem Thema der skulpturalen Arbeit geworden. Die Künstlerin nimmt Bezug auf die Geschichte Roms. Es spiegelt sich die konsumorientierte Misswirtschaft in unserer aktuellen Gesellschaft. Die Skulptur zeigt, dass diese Entwicklung zu einer versteinerten Wahrheit geworden ist. Das Augenscheinliche ist so in ein künstlerisches Medium eingekleidet worden. Die Plastikverschmutzung der Meere und des Landes ist ein globales Problem. Die Frage stellt sich, wie eine Gesellschaft sich zu Kultur und Konsum verhält und sich die Repräsentation von etwas Monumentalem dadurch verändert.

Karin bezieht dazu eine klare Position. In der Kunst geht es aber noch um einen anderen Aspekt der Skulpturen; der „Faltenwurf“ ist in der Bildhauerei ein klassisches und technisch anspruchsvolles Thema. Das Gewand gilt als „Echo des Körpers“. Die Form, Bewegung und Drapierung des Körpers soll mit dem Faltenwurf erkennbar sein.

Es ergibt sich für Karin auch die Fragestellung, welche Kultur wir heute produzieren. Spannend ist dabei, diese Themen aufzunehmen und in Marmor zu behandeln. Der Stein überdauert. Abfälle wie Plastik werden auf dem Müll deponiert. Karin: „Ich machte Plastik zum Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung. Die Betrachter dieser Kunst fragten sich auch, ob das Kunst sei. Eine schon fast hysterische Reaktion war, dass ein Besucher davor Angst hatte, dass im Plastiksack eine Bombe versteckt sein könnte. Schon ziemlich absurd. Mit einfachen Mittel ist es offensichtlich möglich Provokationen auszulösen, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen“.

Bei anderen, skulpturalen Arbeiten geht es um die Dynamik und Präsenz. Als Künstlerin ist Karin oft eine Reisende mit schwerem Gepäck. So ist sie an verschiedenen Orten zu hause. Kleidungsstücke, Gegenstände und Objekte, welche die Künstlerin begleiten sind so zu Modellen der Arbeit geworden. Die Objekte und Gegenstände sind durch die künstlerische Arbeit transformiert worden und verbinden die Arbeiten mit gesellschaftlichen Anliegen. Bei den letzten Arbeiten in Stein geht es auch um Lebewesen.

Die „Drei Affen“ stehen dafür als Beispiel.  Zu den drei Affen gibt es unterschiedliche Überlieferungsgeschichten. In Japan wird über das Schlechte hinweggesehen. In der westlichen Welt stehen die Affen für Dinge, die wir nicht wahrhaben wollen. Es geht um Zivilcourage und das angemessene Verhalten in einer Gesellschaft.  Am Beispiel der Pandemie wird sichtbar, dass sich die Komplexität wie ein Vakuum über den Zeitgeist stülpt. Der Gemeinsinn wird auf die Probe gestellt und unter dem Anspruch auf „Freiheit“ werden Egoismen sichtbar. Die Affen vermissen die Besucher im Zoo und über Assoziationen der Banane nachzudenken fange ich gar nicht an. “Mit Liebesentzug kämpfend tauchen wir in die Welt des Digitalen Zeitalters ein.  Das Smartphone regiert die Welt. Wer kann das Monkeybrain im Zaum halten? Das Prinzip der Wiederholung ist auch das Prinzip der Differenz“, soweit Karin im Text „die drei Affen 2020“.

Nach dem Abschluss der Akademie in Wien hat sich Karin, parallel zur Auflösung des Haushalts mit Alltagsgegenständen befasst. Man kann von einer Befreiungsaktion sprechen. In dieser Aufbruchstimmung ist die Materialcollage „I want to brake free“ entstanden. Der „Fellstaubsauger“ ist mit einer Zeitschaltuhr in Verbindung gebracht worden. Das hat dazu geführt, dass in einem programmierten Rhythmus die Haare des Fells aufgestellt worden sind. Eine zerrissene Pelzjacke, vom Aufenthalt in Island, war Ausgangspunkt zur Einkleidung eines Haushaltgeräts. Solche, surreale Situationen haben geholfen sich von einem Ort zu befreien. Die Referenz zur Pelztasse von Meret Oppenheim ist gespickt mit einer Prise Humor. Dieser schafft immer wieder Verbindungen auf der assoziativen Ebene mit Inhalten, die im ersten Augenblick nichts miteinander zu tun haben. Ein in der konstruktiven Kunst häufig anzutreffendes Element der künstlerischen Auseinandersetzung.

In der Ausstellung im Shed im Eisenwerk zeigte Karin 2020 unter dem Titel „Ich werde, Du wirst, es wirrt“ Figuren vom Werden, von der Bewegung und von der Konzentration auf sich selbst. Gezeigte Bilder wirken wie Mikroaufnahmen von Zellen. Sie könnten aber auch eingefärbte Gaswolken aus dem Universum sein. Die Künstlerin beschreibt diese Recherche als „Archäologie im Cyberspace“, irgendwo zwischen Werden und Sinnieren oder Warten und Agieren. Eine prozessorientierte Ausrichtung auf die Zeit, die unsere Wahrnehmungen in die Irre führen können.

Nebst Gegenständen oder Skulpturen malt und collagiert sie. Mit der Malerei werden gedankliche Räume erweitert. Wichtig ist auch hier, sich auf den malerischen Prozess einzulassen. Farben und Kompositionen geben der Malerei die nötige Tiefe, die der Betrachter*in intuitiv wahrnehmen kann. Übermalen, das Gemalte wieder einfrieren oder sich ruhigen Momenten, in der Nacht, zu ergeben sind charakteristisch für ihre Art des Malens. Bei der Erarbeitung von Collagen funktioniert dies anders. Die Momente des Aufräumens entstehen wieder, wie dies bei der Verwandlung von Alltagsgegenständen schon beobachtet werden konnte. Die Beschäftigung mit schon vorhandenen Materialien führt immer wieder zu Neuentdeckungen, die die Künstlerin selbst überraschen können.

Karin beschäftigt sich mit skulpturalen Arbeiten, Malerei oder Collagen. Ihre Arbeiten sind auf Situationen oder Orte bezogen, die häufig eine Verbindung zu ihrer Lebensphase aufweisen. Die Auseinandersetzung mit Gegenständen und Materialien geschieht reflexiv, mit Distanz und trägt immer eine Portion Humor in sich. Der Prozess des Entstehens eines Kunstwerks und die damit verbundene Idee ist zentral für das Verstehen ihrer künstlerischen Ausrichtung. Ich bin gespannt auf die Weiterentwicklung der Künstlerin.

Eduard Hauser

Autor

Kulturblogger Glarus

Kontakt

Hauser Eduard
Blogger
Biäschenstrasse 10
8872 Weesen
hauser.eduard@gmail.com

Kategorie

  • Glarus

Publiziert am

08.01.2021

Webcode

www.glarneragenda.ch/9JPhcL