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Kultur, Regionale News

Kleiderfasten – mein Jahresprojekt

Werner Kälin schreibt sehr inspirierend im letzten Kulturblog über den Sinn des Fastens. Manchmal geht die Fastenzeit gar etwas länger als die Passionszeit. 2022 mache ich folgendes Experiment: Keine Textilien kaufen. Bisher zeigt sich: Es ist eher Gewinn als Verzicht.

Teil 2a der Kulturblog-Serie zur Fastenzeit 2022 von Swantje Kammerecker, Kulturbloggerin

Seit vielen Jahren habe ich immer die Fastenzeit zum Anlass genommen, um auf verschiedenes zu verzichten. Am schwersten fiels mir beim Kaffee, Alkoholverzicht ist keine grosse Sache (nur dass man sich öfter „erklären“ muss), Süsses wegzulassen nicht immer leicht. Heute möchte ich über mein aktuelles „Fastenprojekt“ berichten, nachdem mich der jüngste Kulturblog zum Fasten von Werner Kälin begeistert und inspiriert hat. Ich finde es wichtig, persönliche Erfahrungen zu diesem Thema zu teilen. Habt Ihr auch welche? Das würde mich interessieren!

Aufs Thema Fasten bin ich vor Jahren weniger aus religiösen Gründen gestossen (obwohl ebenfalls gläubige Christin), sondern als Mitglied und zeitweilige Co-Präsidentin der Fachgruppe für Suchtprävention, wuweg. Es ging im Zusammenhang mit den Themen Genuss – Missbrauch – Sucht immer wieder auch um den Konsum und dessen typische Eigendynamik: Mehr macht, sofern  Grundbedürfnisse befriedigt sind, meist nicht glücklicher - wie im Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ das wir dort auch besprachen, sondern erweckt nach kurzzeitiger Befriedigung oft gesteigerte Bedürfnisse und kann das Gefühl innerer Leere gar noch verstärken. (Natürlich ging es auch uns Fachgruppenmitgliedern nach einem stressigen Tag nicht anders, dass man das Verlangen verspürte, sich mit etwas Süssem, einem Schuhkauf oder einer trashigen TV-Sendung „etwas Gutes zu tun.“ Es war noch spannend, das zu besprechen, wir sind ja alle Menschen und ticken gleich.)

Jedenfalls habe ich damals angefangen, immer mal wieder während der Fastenzeit auf bestimmte Genussmittel zu verzichten und hielt das auch so, als ich bei wuweg nicht mehr mitmachte. Im Corona-Jahr 2020 passierte es quasi von selbst, dass ich wochen- bzw. monatelang keinen Tropfen Alkohol anrührte, weil man ja keine Geselligkeit mehr pflegte und die Lage auch nicht zum Feiern war. Damals war eher die Herausforderung für mich, der Versuchung eines übermässigen Nachrichtenkonsums zu widerstehen. Einerseits will man gut informiert sein, andererseits kann es eine ungute Dynamik entfalten, ständig nach Infektions- und Hospitalisationszahlen zu schielen.

Nach und nebst der Coronakrise wurde auch die globale Klima-  und Umweltkrise immer drängender. Ende 2021 sah ich einen erschreckenden SRF-Beitrag über Fashionwaste, also unüberschaubare Müllberge aus von Europa „importierten“ Altkleidern in Afrika. Schreckliche Bilder! Das war kurz nach der sehr eindrücklichen Ausstellung im Güterschuppen Glarus zum Thema Klimafreundlicher Konsum, bei dem ich mich auch mit allerlei empfehlenswerter Lektüre eingedeckt habe. Ein Augenöffner war das Buch „Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben“ von Dr. Eckardt von Hirschhausen – prägnant, umfassend, faktenbasiert, dabei auch noch unterhaltsam und mit Humor verfasst, aber auch mit ganz konkreten Handlungsansätzen. Seit 5 Jahren Veganerin (Ernährung ist einer der Haupttreiber der Klimakrise) hatte ich irgendwie gemeint, schon mal einen wichtigen Beitrag zu leisten, aber bei Hirschhausen wurde mir klar, das reicht noch lange nicht. Schon seit einigen Jahren bin ich vermehrt in Second-Handshops einkaufen gegangen, aber 2022 wollte ich es nun mal wagen: Ein Jahr lang gar keine Textilien und Schuhe kaufen.

Wie geht es mir, nach zwei Monaten, jetzt damit? Sehr gut! Am Anfang der Aktion stand zweierlei: Zuerst mal Tabula rasa im Kleiderschrank. Wer Ordnung macht, entdeckt auch immer Stücke wieder, die man fast vergessen hatte, und an denen man sich neu freut. Zwei warme Kleider aus Walkwolle und andere Wollsachen (noch aus der vorveganen Zeit) wusch ich mit der Hand durch, anderes war nach dem ausbessern und reinigen wieder gut. Ein Sack vermeintlicher Altkleider sozusagen intern recycelt. Für die schwierigen Fälle brauchte ich ein Backup. Da Nähen und Handarbeiten zu meinen absoluten Untalenten gehören und ich keine Nähmaschine bedienen kann, fragte ich meine Freundin an, die seit vielen Jahren alles selber näht, mir beizustehen. Das macht sie sehr gerne! Als Weihnachtsgeschenk erhielt ich von ihr die Zusage, 2022 meine kaputten Kleider zu flicken. Letzthin landete eine erste Lieferung bei mir, wo sie aus zwei durchgewetzten Winterstrumpfhosen wunderschöne Leggings gezaubert hatte! Gewonnen und gespart habe ich indessen schon einiges:  Geld, das ich für gemeinnützige Organisationen spende, und – wie schon damals bei der Ernährung: Einkaufsstress! Bekanntlich ist ein Überangebot für den Menschen eher belastend, weil die Auswahl viel Zeit und mentale Energie raubt – und das täglich! Wenn du im Supermarkt gar nicht mehr erst die Fleischtheke konsultieren und bei jedem Kleiderständer am Strassenrand „mal gucken“ musst, erlebst du plötzlich ein wunderbares Gefühl der Freiheit: „Ach, das brauch ich nicht!“ Ganz nach dem Motto von Sokrates: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf!“. Und ja, wir haben immer noch so viel – mehr als genug, kein Vergleich mit den Leuten im Altertum!

Ob im 2022 doch noch der Punkt kommt, indem ich das „Fashionfasten“ bedauere, und wo mir echt etwas fehlt? Ihr könnt mich ja dann fragen… Und habt Ihr selber eigene Erfahrungen, eigene „Experimente“ am Laufen? Ich möchte noch abschliessend sagen, dass das Shoppen noch nie zu meinen grossen Hobbys gehörte. Aber eben, übers Jahr kommt doch so einiges zusammen. Und wer weiss, was nach 2022 von diesem Experiment bleibt? Ich bin gespannt.

fashionrevolution.ch/fakten schreibt folgendes: Schweizer:innen haben im Schnitt 118 Kleidungsstücke im Schrank, kaufen jedes Jahr 60 neue Stücke dazu. 40% ihrer Kleider tragen sie nie oder nur zwei bis vier Mal. Jedes Jahr werden 6.3 kg Altkleider pro Person weggegeben. Unser Konsum an Kleidung hat sich in den letzten 20-30 Jahren stark verändert: Wir kaufen viel mehr, zahlen aber viel weniger dafür. Vor einem Jahrhundert gaben wir mehr als die Hälfte unseres Geldes für Lebensmittel und Kleidung aus, heute ist es weniger als ein Fünftel. Als Gesellschaft kaufen wir heute 400% mehr Kleider als noch vor 20 Jahren. 150 Milliarden Kleidungsstücke werden jährlich produziert, nur allein in Amerika werden jedes Jahr ca. 14 Millionen Tonnen Kleidungsstücke weggeworfen. Man braucht 2720 Liter Wasser für ein Baumwoll-Shirt, das entspricht Trinkwasser für 3 Monate. In China , dem globalen Hauptplayer der Modeindustrie, sind 80 % des aus Flüssen und Seen stammenden Wassers für den menschlichen Umgang unbrauchbar. 60 bis 75 Millionen Menschen arbeiten in den Verarbeitungs- und Konfektionsfabriken der Modeindustrie, davon sind 80% Frauen. Sie sind von den Arbeitsrechtsverletzungen besonders stark betroffen.

Buchtipp:

„Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben“ von Dr. Eckardt von Hirschhausen, dtv.

Zum Weiterlesen:
These facts show how unsustainable the fashion industry is auf World Economic Forum weforum.org

Text und Bilder zu Kleidern und Buch: Swantje Kammerecker, Grafiken Screenshot siehe Quelle

Weitere Artikel der Kulturblog-Serie zur Fastenzeit 2022 unter #klimafasten im Suchfeld der Glarner Agenda

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Brauchtum / Feste
  • Glarus

Publiziert am

03.03.2022

Webcode

www.glarneragenda.ch/tbCFiK